Abschied mit Klee-Impressionen

Das Ensemble Sortisatio Leipzig löst sich nach fast drei Jahrzehnten auf – und veröffentlicht zum Abschluss ein faszinierendes Album, das von Grafiker und Maler Paul Klee inspiriert ist

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Das Ensemble Sortisatio (von links): Walter Klingner, Thomas Blumenthal, Matthias Sannemüller und Axel Andrae (Foto: Sortisatio)

Anlässlich des 25. Geburtstags des Ensembles Sortisatio im Herbst 2017 gab es im Saal des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig gleich zwei große Überraschungen. Einerseits kündigten die zumeist hier beheimateten Instrumentalisten durch ihre faszinierende Werkauswahl ein attraktives, zweites Album mit Musik zum Schaffen des weltberühmten avantgardistischen Malers und Grafikers Paul Klee an. Zum anderen kam eher verhalten die fast unglaubliche Nachricht: Da Matthias Sannemüller, der Ensemblegründer und vorrangige Initiator der zahlreichen Konzerte im In- und Ausland, den wohlverdienten Ruhestand erreicht, beenden die Musiker in absehbarer Zeit ihre Zusammenarbeit.

Diese Mitteilung war für viele Begeisterte der zeitgenössischen Musik nahezu schockierend, hatten doch die Interpreten in der Stammbesetzung mit Walter Klingner (Oboe/Englischhorn), Axel Andrae (Fagott), Matthias Sannemüller (Viola) und Thomas Blumenthal (Gitarre) gerade in den Leipziger Rathauskonzerten, in Veranstaltungen des Sächsischen Musikbunds, des Forums für zeitgenössische Musik Leipzig sowie zu den Hallischen Musiktagen im mittelsächsischen Raum unüberhörbare Akzente gesetzt. Die meisterlichen Aufführungen etwa der Werke von John Cage, Peteris Vasks und Christian Wolff, aber auch von Reiner Bredemeyer, Thomas Buchholz, Gerd Domhardt, Christian Münch, Günter Neubert, Steffen Schleiermacher und Karl Ottomar Treibmann bleiben in bester Erinnerung. Darüber hinaus wirkten die Interpreten vorrangig in der Schweiz mit Konzerten in Bern, Blonay, Lausanne, Luzern und Winthertur sowie im benachbarten Liechtenstein.

Eine Brücke über die Aar – Leipzig, Bern und Klee

Die entscheidenden Anstöße für diese rund drei Jahrzehnte währende länderübergreifende Ausstrahlung des Leipziger Ensembles sind dem Schweizer Komponisten, Dirigenten und Arzt Jean-Luc Darbellay zu verdanken. Er lenkte das Interesse auf Paul Klee, der in Bern aufwuchs und hier nach existenzbedrohenden Angriffen des Hitlerregimes ab Ende 1933 Schutz fand. Paul Klee gilt als ein bildender Künstler mit größter Anziehungskraft auf Komponisten, offenbar weil die Tonsetzer spüren, dass seine genialen Gestaltungsweisen auch mit seiner besonderen Verbindung zur Musik zu tun haben: Er stammte aus einem höchst musikalischen Elternhaus, spielte selbst ausgezeichnet Violine, teilte seine Liebe zur Musik mit seiner als Pianistin tätigen Ehefrau und gibt bis heute Denkanstöße durch musiktheoretische Recherchen während seiner Bauhaus-Meisterzeit.

Jean-Luc Darbellay fiel es deshalb nicht schwer, rund 20 Komponisten vor allem der österreichisch-schweizerischen Komponistenvereinigung „Groupe Lacroix“ sowie der Berner Künstlergruppe „L’art pour l’Aar“ dazu anzuregen, sich in ihrem Schaffen von Bildern Paul Klees sowie der seltenen Besetzung der Leipziger Interpreten inspirieren zu lassen. Diese fantasievollen Werke mit ihren beiden jetzt vorliegenden qualitätvollen Einspielungen stoßen auch bei Interessenten der bildenden Kunst auf großes Interesse. Außerdem regen sie die Kunstwissenschaften an, dem höchst originellen Miteinander von bildkünstlerischen und musikalisch intendierten Gestaltungsprozessen bei Paul Klee mit neuen Ideen nachzugehen.

Die vom Ensemble Sortisatio im März 2018 erstmals in der Münchner Galerie Thomas, im Paul Klee Zentrum Bern sowie im Kunstmuseum Winterthur vorgestellte CD, die in Zusammenarbeit mit „L’art pour l’Aar“ entstand, wurde hauptsächlich von Tonmeister Christian Cerny im Leipziger Saal des Mitteldeutschen Rundfunks produziert und im Berner Musikverlag Müller & Schade herausgebracht. Sie vereint Stücke von fünf namhaften Komponisten aus der Schweiz, zwei Leipziger Autoren sowie zwei Tonsetzern aus dem Fernen Osten.

Beim ersten Hören überrascht eine gewisse stilistische Ähnlichkeit der Werke trotz ihrer ganz unterschiedlichen Herkunft. Jeweils höchst feinsinnige Klanglichkeit paart sich mit einer empfindsamen Melodik und zumeist zurückgenommener Metrik, sodass Schwebezustände entstehen, die Verwandtschaften mit den Kleeschen Aussagen zum Ausdruck bringen, aber auch der Spezifik des Miteinanders dieser jeweils zwei Holzblasinstrumente und der zwei Saiteninstrumente entsprechen. Wer sich etwa vom Musikalischen her der Transzendenz nicht nur der Engelsgestalten Klees zu nähern versucht, wird gerade in der merk-würdigen Klang-Balance zwischen der Gitarre und den drei üblichen Konzertinstrumenten kongeniale Voraussetzungen entdecken, um überraschende Einblicke in die künstlerische Welt Paul Klees zu gewinnen und sich gleichzeitig die ganz eigenen Dimensionen der Komponisten zu erschließen.

Mehr als nur ein Booklet

Dieses unverkennbar individuelle Herangehen an Klee zeigt sich zudem in der Werkauswahl und in den eigenen Erklärungen der Komponisten, die neben den entsprechenden Bildvorlagen im Booklet zu finden sind. Daraus ergibt sich ein kleiner, überaus reizender, aufschlussreicher Katalog von schöpferischen musikalischen Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Werken der bildenden Kunst: Hans-Eugen Frischknecht bezieht sich mit seinen „Klee-Impressionen“ nicht auf ein bestimmtes Bild, sondern reflektiert innerhalb von sieben kurzen Stücken seine vielfältigen Empfindungen bei der Betrachtung von Zeichnungen im kleineren Format. Max E. Keller hingegen reagiert auf Klees „wie KRAUT und RÜBEN“ mit einem analog wirkenden musikalischen Pointilismus, der sogar im Notenbild seinen Niederschlag findet und damit in eine frappierende Nähe zur musikalischen Grafik führt. Der japanische Komponist Satoshi Tanaka geht in „Zeichensammlung südlich“ ebenfalls von Strukturen Paul Klees aus, verwandelt aber den Bildkontrast unterschiedlicher Farb- und Helligkeitsgrade in eine Gegenüberstellung von zwei Sätzen, um den Stimmungen des Bildes eine eigene Betrachtungsweise zu verleihen.

Einen anderen, stärker programmatisch ausgerichteten Zugang wählen demgegenüber die folgenden Komponisten. Stephan König aus Leipzig verbindet mit dem paradox anmutenden Bild „Wasserpÿramiden“ eigene Eindrücke des Nahen Ostens und greift dabei zu ägyptischen Skalen und Metren, die seine kompositorische Handschrift bereichern. Pierre-Adré Bovey hingegen greift in der Beschäftigung mit Klees „Anfang eines Gedichtes“ auf dessen verstecktes Liedzitat von Johann Sebastian Bach zurück und lässt im variativen Spiel auch Anklänge an den Text des Liedes aufscheinen. Markus Hofer geht mit „Engel, noch weiblich“ sogar einen ganz eigenen Schritt zur Literatur, indem er seinen Bild-Assoziationen einen für dieses Werk geschaffenen Text der Dichterin Lea Gottheil hinzufügt und reflektiert. Dieser Text wird dann melodramatisch zur Musik vorgetragen, sodass der Gedanke an ein beabsichtigtes „Gesamtkunstwerk“ aufkommen kann.

Der Leipziger Thomas Christoph Heyde erinnert sich an die eigene Kindheit und einen Besuch in der Neuen Nationalgalerie Berlin, um das ihn besonders berührende Bild „trauernd“ mit einer eigenen Aura zu erfassen. Das gelingt ihm nicht zuletzt durch Hinzufügung von sphärischen Momenten einer Klangschale sowie von radioartigem Rauschen im Hintergrund. Einen gewissermaßen umgekehrten biografischen Bezugspunkt zu Paul Klee nutzt Cheung Wai Hui. Der in Hongkong lebende Künstler kennt das Interesse Paul Klees am Fernen Osten bis hin zur Auseinandersetzung mit Taoismus und Zen-Buddhismus. Und diese Tatsache nimmt er zum Anlass, in seinem Werk „Floss“ und einer damit verbundenen Lebensweisheit Buddhas eine Klang-Brücke zu Paul Klee zu schlagen.

Schließlich rundet sich mit Jean-Luc Darbellays „über Wasser“ die hier zu bewundernde Darstellung von Möglichkeiten ab. Als hervorragender Kenner von Paul Klee bezieht er sich schon durch die Bildauswahl bewusst auf strukturelle und programmatisch-biografische Aspekte in Klees Schaffen. Darbellay erinnert mit erschütternden Klängen an die entsetzlichen Angriffe gegen Klee als „entarteter Künstler“ im nationalsozialistischen Deutschland und leitet die Musik über eine kleine Elegie zu Empfindungen der Hoffnung, die Klee mit seinem Rückzug in die Schweiz verband.

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KLEE-Impressionen. Musik und „polyphone“ Bilder

Ensemble Sortisatio Leipzig

präsentiert von: L ‚art pour l’Aar

Bern: Müller & Schade, 2018




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