Freiheit unterm Zirkuszelt

Axel Köhler inszeniert „Das Feuerwerk“ des Schweizers Paul Burkhard an der Musikalischen Komödie als DDR-Kammerstück vor dem Mauerfall

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Anna (Nora Lentner) und Tänzer des Balletts der Musikalischen Komödie (Foto: Kirsten Nijhof)

Der Vorspann läuft schon, als die Zuschauer noch ihre Plätze suchen. Eine Köchin reinigt penibel das DDR-Inventar und kehrt den Schmutz unter die Decke. Worum es in diesem Stück geht, lässt sich daran und an unzähligen treffsicher ausgewählten Bildern ablesen: um Ehrlichkeit und daraus resultierende Freiheit.

Axel Köhler, Sänger und Regisseur, bis 2016 Intendant der Oper Halle, gibt mit dem Stück sein Regiedebüt an der Musikalischen Komödie. Der Komponist Paul Burkhard, 1911 in Zürich geboren, schrieb ein Schweizer Mundartstück, das in einer musikalischen Bearbeitung durch Eric Charell 1950 in München als „Das Feuerwerk“ uraufgeführt wurde. Wie Burkhard selbst empfiehlt, legt Köhler das Stück in die Stadt, in der es aufgeführt wird, also nach Leipzig.

Es spielt im Jahr 1989 kurz vor dem Mauerfall. Eine Familie feiert den 60. Geburtstag des Familienvaters und ein Großaufgebot von Verwandtschaft hat sich angekündigt. Trotz der perfekten Vorbereitung gerät der Familienfrieden schnell in eine Schieflage, als Onkel Obolski, Zirkusdirektor aus dem Westen, und seine galante Gemahlin Iduna mit hinreißender Garderobe und verzückendem französischen Akzent auftreten. Tochter Anna fühlt sich zu der Exotik des Zirkuslebens hingezogen und träumt von einer Zirkusnummer mit dem Pony Johnny. Die vier Brüder, Familienväter und Gatten von biederen Ehefrauen mit DDR-Karrieren, sind verzaubert von Iduna. In einer von vielen drastischen Szenen lassen sich die vier Herren zu einem Tanz auf dem Seil hinreißen, der den Bogen weit überspannt.

Überhaupt übertrifft sich die Regie mit Einfällen. Und das Leipziger Publikum hat sichtlich Spaß daran: In großer Dichte werden Triggerpunkte von gelernten DDR-Bürgern angeregt, was zu vielen Lachern und Szenenapplaus führt. Eins der ersten, klug inszenierten Bilder, das ohne Worte funktioniert, ist das viel zu kleine Honecker-Porträt, das gegen einen Landschaftsschinken getauscht wird und nun sehr verloren im Staubrahmen seines Vorgängers hängt. Zwischenzeitlich bekommt Honecker eine rote Nase – in einer Doppeldeutigkeit, die schließlich zum Fall des Bildes wie aus heiterem Himmel führt.

„Das Feuerwerk“ an der Musikalischen Komödie der Oper Leipzig (Fotos: Kirsten Nijhof)

Im zweiten Akt öffnen sich die Wände des DDR-Kammerstücks und verwandeln sich zu einem Zirkusdach. Zwischen Boden und Dach bietet der Raum (fast) für alle Artisten und Akrobaten genügend Platz für Kunststückchen. Das Bühnenbild setzt noch eins drauf, indem die Lücke zum Mauerdurchbruch wird. In der Tiefe des Bühnenraums erscheint ein Schwarz-Weiß-Film des Mauerfalls. Hier wird vorweggenommen, dass der Familie unruhige Zeiten bevorstehen.

Folgerichtig kehrt im dritten Akt das Wohnzimmer wieder auf den Boden zurück. Doch in Anna ist eine Verwandlung zur Erwachsenen vorgegangen, was sich auch unschwer äußerlich an ihrer modernen Kutte und der Karottenjeans ablesen lässt. Sie ist nun eine selbstbestimmte junge Frau und entscheidet sich für den „Blumen-Kultivierer“ statt für den Zirkus. Der Zirkus mit seinen dressierten Katzen und Pferden als Symbole der Freiheit ist überflüssig geworden. Jetzt geht es um die Kunst der Liebe, die entweder in einer offenen Beziehung wie zwischen Obolski und Iduna oder in einer klassischen Paarbeziehung in die Zukunft führt. Schließlich verlässt die ganze Familie ihre gewohnte Umgebung durch die Hintertür, um in die Zukunft zu gehen.

In dieser „Feuerwerk“-Inszenierung laufen viele Fäden zusammen, die auf die Biografie von Axel Köhler verweisen. Der Regisseur war in der DDR als sogenannter Reisekader auch im kapitalistischen Ausland unterwegs und befand sich zum Zeitpunkt des Mauerfalls gerade in Frankreich. Nicht zufällig hat Iduna als Symbol der Freiheit einen französischen Akzent. Das Motiv der Reisefreiheit verkörpert der Zirkus, der über die Ländergrenzen hinweg seine Kunststückchen darbietet. Die musikalische Ausdrucksform von Burkhard ist das Chanson – stets mit eingängigen Melodien, die hier mit größter Hingabe zum Klingen kommen. Das intensive Spiel verbunden mit der musikalischen Darbietung stellt hohe Anforderungen, dem sich die Sängerinnen und Sänger im Leipziger „Feuerwerk“ tapfer und überzeugend stellen.

Das Feuerwerk

Musikalische Komödie von Paul Burkhard

Musikalische Leitung: Tobias Engeli

Inszenierung: Axel Köhler

Ballett und Orchester Musikalische Komödie

Mitwirkende: Iduna: Mirjam Neururer, Anna: Nora Lentner, Mutter: Angela Mehling, Köchin: Sabine Töpfer, Tante: Paula Anne-Kathrin Fischer, Tante: Berta Carolin Masur, Tante: Lisa Dagmar Zeromska, Alexander Obolski: Hinrich Horn

Musikalische Komödie der Oper Leipzig, Premiere: 13. April 2019

Weitere Aufführungstermine unter oper-leipzig.de

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