Eine Anthropologie der VergessenenCarlo Levi malt in „Christus kam nur bis Eboli“ süditalienische Landschaften

Es gab Zeiten, da war die Verbannung unpopulärer Zeitgenossen, die den Mächtigen ihre Stirn boten, eine sehr kommode Maßnahme, sich ihrer zu entledigen. Die Weiten Sibiriens waren ein solches Gefängnis ohne Zellen, in dem der Zar und später Stalin kritische Geister bevorzugt verstummen ließen. Auch die faschistische Regierung Italiens nutzte in den 1930er Jahren die Verbannung, um sich der Opposition zu entledigen. Nach Lukanien, ans Ende des italienischen Stiefels, wurde im August 1935 der Arzt Carlo Levi wegen antifaschistischer Umtriebe geschickt. Drei Jahre lautete das Urteil. Im Mai 1936 kommt er aus Anlass der Gründung des „Imperiums“ wieder frei. Sein Roman Christus kam nur bis Eboli beschreibt seine Zeit in der archaischen Welt Lukaniens, von der die Bewohner selber sagten, dass Christus eben nur bis kurz hinter Neapel, eben Eboli, gekommen ist.

Levi rückt einen Landstrich in das Bewusstsein der Menschen, der bis dahin völlig vergessen schien. Wohlgemerkt nicht nur im Rest von Europa, sondern auch in Italien selber. Christus kam nur bis Eboli ist eine Anklageschrift und Manifest für den Lebenswillen der Menschen dieses Landstriches. Vor allem aber ist es eine veritable ethnologische Beschreibung der Region. So berichtet Levi von den Festen, der Religion, der Ausstattung der Bauernhäuser. Und hat immer den Blick für die kleinen Pointen des Alltags: in keinem Haus fehlte ein Bild des amerikanischen Präsidenten Roosevelt und das der Madonna.

Schon kurz nach Levis Ankunft hatte sich seine Ausbildung als Arzt herumgesprochen. Die beiden Ärzte vor Ort wurden wegen ihrer offenkundigen Unfähigkeit gemieden. Auch wenn er kaum Behandlungsmöglichkeiten hatte, wurde Levi wegen seiner Hilfsbereitschaft und seinem Interesse an den Lebensverhältnissen von der Bevölkerung schnell akzeptiert. Aus dieser Nähe zu den Menschen zieht das Buch auch seine ungeheure Kraft. Levi spart nicht mit drastischen Bildern, wenn er die unwürdigen Lebensbedingungen der Menschen beschreibt. Die Wohnstätten in den Höhlen von Matera, heute ein beliebtes Touristenziel, waren Heimstatt von Krankheit, Verzweiflung und Wut. Das Vergessen und die öffentliche Ignoranz des restlichen Italiens dieser Region gegenüber steht als Anklage über jeder Seite des Buches.

Levi entstammte einer jüdischen Arztfamilie aus Turin. Trotz seiner medizinischen Ausbildung beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Malerei. Levi galt als der wichtigste Vertreter der realistischen Malerei in Italien. In Christus kam nur bis Eboli ist an einigen Stellen von seiner Malerei die Rede. Von der argwöhnischen Observation durch die Soldaten bis hin zur Begeisterung der Kinder, denen er Malunterricht erteilte oder besser, die ihn voller Interesse beim Zeichnen zuschauten und sich davon inspirieren ließen. Eine Ausstellung des Frankfurter Jüdischen Museums (bis zum 6. April) zeigt nun ausgewählte Werke aus dem Schaffen Levis. Die Schau rückt Levis Erinnerungen noch mal in ein besonderes Licht. Sind doch unter den ausgestellten Werken auch einige, die Levi in der Verbannung gemalt hat.

Die Last der Verbannung, die Isolation und die ständige Beobachtung sollten sich auch auf die Bilder Levis niederschlagen. Zwei Tage nach seiner Ankunft in seinem Verbannungsort Grassano schrieb er an seine Mutter: „Ich weiß noch nicht, wie ich diese ernste und schwere Landschaft malen soll, die das genaue Gegenteil des bunten und fröhlichen Alassio ist. Aus der Sicht meiner Malerei bin ich von der Beschaffenheit dieser Landschaft enttäuscht worden (aber das heißt nicht, dass, wenn ich sie besser kennen würde, es mir nicht gelänge, sie in Malerei umzuwandeln.)“ Dass ihm das gelungen ist, davon zeugen die Bilder und vor allem aber auch Christus kam nur bis Eboli.

Carlo Levi: Christus kam nur bis Eboli
Aus dem Italienischen von Helly Hohenemser-Steglich
Deutscher Taschenbuchverlag, München, 2003
285 Seiten, 10 €

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