Wer tanzt nicht gern um das goldenen Kalb

Peter Konwitschny inszeniert Schönbergs „Moses und Aron” in Hamburg

1926 hat Arnold Schönberg begonnen, sich musikalisch mit dem Thema von „Moses und Aron“ zu beschäftigen. Am 29. 12. 1950 schreibt er in einem Telegrammentwurf an Hermann Scherchen: „Einverstanden dass dritter Akt eventuell ohne Musik gesprochen wird falls Vollendung unmöglich“. Der Tod Arnold Schönbergs am 13. Juli 1951 hinterlässt die Nachwelt mit dem Rätsel um sein unvollendetes Werk.

30 Jahre nach der szenischen Erstaufführung in Hamburg hofft Peter Konwitschny das Rätsel mit einem Schuss Fatalismus lösen zu können: Da der Versuch einer Synthese von Spiritualität und Rationalität scheitern muss, sind die verzweifelten Worte von Moses, während er mit Aron in der Bühne versinkt, „Oh das Wort, das mir fehlt“ am Ende des zweiten Aktes der logische Schlusspunkt von Schönbergs Stück. Also alles „nur“ Theater? Sogar noch im schon tosenden Schlussapplaus erzeugt die Inszenierung solche Sicht: Moses begrüßt den aus dem Theaterfoyer von einer Orgie zurückkehrenden Chor freundlichst, auch persönlich mit Handschlag, wieder auf der Bühne, ganz nach dem Motto: „Das kann ja mal passieren“. Durch dieses Vermenscheln des Stückes erreicht Konwitschny eine wohltuende Entzauberung des hochkomplexen Stoffes um das jüdische Bilderverbot, geistige Führerschaft und das „Verstehen“ von Religion.

Ingo Metzmacher scheint dieser Dramaturgie kongenial zu folgen. Nicht im strukturalistischen Sinne interpretiert er die Partitur, betont werden die assoziativen Linien, hier besonders die melodischen Elemente Arons. Im Gegensatz mit dem „nur“ sprechenden Moses und den von dunkel changierenden bis schrill aufgerissenen Flächen des Orchesters entsteht ein verzauberndes, Musik gewordenes Bild für die Ambivalenz zwischen Ratio und Inspiration, zwischen Kopf und Bauch. Aber auch der weit über hundert Frauen und Männer zählende Chor sorgt für Höhepunkte, nicht nur stimmgewaltig und präzise durch Metzmacher geführt, sondern äußerst konzentriert agierend unterstützt er die von Konwitschny verfolgte Atmosphäre, gipfelnd im Tanz ums goldene Kalb. Die Fischers und Westerwelles dieser Republik führen ihn auf, ein Walzer mit Angela, außerdem knallt Gerhard einen potenten Selbstmörder ab, die darauf folgende erotische Orgie des Chores wird mit viel Blech vom Orchester angeheizt. Aneinander reibend schlägt und wälzt man sich durchs Parkett, nicht ohne das Publikum zum Mittun anzuhalten, um dann die Party im Foyer weiter zu treiben.
Diese in sich schlüssigen starken Bilder sind natürlich nicht unkritisch. Aber die Gefahr, dass uns das Konkrete enttäuscht, ist eines der menschlichen Problemfelder, womit wir wieder bei „Moses und Aron“ angelangt sind, und sich der Kreis des Abends schließt.

Arnold Schönberg: „Moses und Aron“

Oper in zwei Akten
Text: Arnold Schönberg

Musikalische Leitung: Ingo Metzmacher
Inszenierung: Peter Konwitschny
Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker
Dramaturgie: Werner Hinze
Licht: Hans Toelstede
Spielleitung: Petra Müller
Chor und Sonder der:
Hamburgischen Staatsoper: Florian Kluza
Krakauer Rundfunkchor: Jürgen Luhn
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Moses: Frode Olsen
Aron: Reiner Goldberg

3. Dezember 2004, Hamburgische Staatsoper (Premiere am 14.11.2004)


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