Vordergründe – Hintergründe – Abgründe

Bunt und manchmal beunruhigend: Eine Retrospektive im Grassi-Museum zeigt das Werk des Fotografen Olaf Martens

„Die Bilder sind odinär“, so die „Meinung eines 8-jährigen Pfälzers“ zu Olaf Martens Fotografien, mit großen runden Buchstaben eingetragen in das Gästebuch der Ausstellung „Träume Welten Hintergründe“. Abgesehen von der Frage, ob – bei aller Liebe zur Kunst – ein Besuch gerade dieser Ausstellung das Richtige für Grundschüler ist, wäre darüber nachzudenken, was an den rund 400 gezeigten Fotos „odinär“ wirken könnte und was darüber hinausgeht. Die sexy Welt des Olaf Martens, der Fotografie an der HGB in Leipzig studiert und unter anderem im Spiegel, im FAZ-Magazin und im Stern veröffentlicht hat, der schon Werbekampagnen für Bruno Banani und das Deutsche Hygienemuseum Dresden fotografierte und der auch einmal „Helmut Newton für Arme“ genannt wurde – Olaf Martens‘ Welt und Werk nun also im Museum für Kunsthandwerk Leipzig.

Moment: Hochglanz-Style und Bilder nackter Frauen auf Baustellen und in Wäldern im Museum für Kunsthandwerk? Warum das? „Warum nicht?“, entgegnete man seitens des Museums bei der Ausstellungseröffnung; den Zusammenhang herzustellen zwischen Handwerk und den schillernden Inszenierungen Martens‘ bleibt jedem Besucher selbst überlassen. Und wenn es nicht so abgedroschen wäre, könnte man jetzt lange Alliterationsketten bilden, von Kunst, Kitsch und Kommerz schreiben, von Perfektion, political correctness und Poesie, von Sex, Szene und Subversion. Aber so einfach sollte man es sich nicht machen mit Martens, dessen Bilder sich in ihrer Aussage und auch im Stil erheblich voneinander unterscheiden; von 1984 bis 2004 hat der Künstler, Jahrgang 1963, einiges ausprobiert, sich mit Modefotos, freien Kunstprojekten und privaten Auftragsarbeiten beschäftigt. Der gemeinsame Nenner seiner Arbeiten laut Martens: „Ich karikiere die Realität. Und ich provoziere auch.“

Die Leipziger Retrospektive, eingeteilt in zehn Abteilungen von „Frühe Arbeiten“ (1984-1986) bis „Latest Greatest“ (2003/2004), heißt nicht zufällig „Träume Welten Hintergründe“. Ein etwas diffuser Name, hinter dem sich vieles verbergen kann und auch tatsächlich verbirgt; das Foto als eine vom Künstler geschaffene, vielleicht erträumte Welt, die auch im Betrachter Vorstellungen und Fantasien erzeugt, die nicht explizit von der Kamera eingefangen wurden. Worauf es aber vor allem ankommt, sind die Hintergründe. Sowohl die sichtbaren auf den Fotos (zum Beispiel Treppenhäuser, russische Paläste, ostdeutsche Provinz) als auch die, die man sich dazudenken soll. Martens sieht seine Bilder, die zum allergrößten Teil Frauen zeigen, als politisch und sozialkritisch, die dargestellte Nacktheit als ironische Brechung und Übertreibung – wer da mitgehen möchte, muss nach dem Echten im Künstlichen, also Inszenierten suchen. Ob man dabei immer fündig wird, ist allerdings fraglich.

Martens fotografiert, kurz gesagt, immer frech, aber nur manchmal böse. Dass auch seine Modeproduktionen originell, ästhetisch und auffallend sind, steht außer Frage; dass sie aber immer auch provozieren, leere Konventionen entlarven und Hintergründe zum Weiterdenken bieten (wie auf den manchmal etwas aufdringlich lobenden Texttafeln in der Ausstellung versprochen wird), ist nicht der Fall. Einige Bilder sind zu glatt, zu schön, zu wenig drohend – schlicht: zu perfekt, um zu irritieren. Holzhammer-Aufreger oder klischeehafte Stilbrüche sind natürlich keine Alternative; und schließlich lässt sich an vielen Bildern Olaf Martens‘ sehen, wie geschickt sich vordergründig Selbstverständliches, „Normales“ mit Abgründigem verknüpfen lässt. Besonders in den Abteilungen „Studium und Meisterstudium“ (1986-1992) und „Verlängerte Frohe Zukunft“ (1999/2000) verbindet der Künstler sehr subtil Sichtbares mit den dadurch entstehenden Assoziationen. Der Einsatz von Falschfarben und gemalten Bildhintergründen sorgt für zudem Verfremdungen, und wenn auf einem Bild Dutzende von Kamasutrastellungen von einer Frau im Latextanzug und einem Gartenzwerg vorgeführt werden, erscheint einem der Zusammenhang zwischen Schrebergarten-Chic und diversen Sexpraktiken zumindest bedenkenswert – der Gartenzwerg erwartet einen übrigens höchstpersönlich am Anfang der Ausstellung.
Dass Martens neben den Menschen, die oft aus seinem Bekanntenkreis stammen und mit ihrer Natürlichkeit die Perfektion der professionellen Models kontrastieren, auch besondere Hintergründe in Szene setzt, wurde schon angedeutet. Der zuweilen morbide Charme von Städten wie Leipzig und Halle oder auch von kleinen ostdeutschen Dörfern trägt zu der von Martens gewünschten Verbindung von üblicherweise Unzusammengehörigem bei – Glamour wird durch verfallene Kulissen eben noch verstärkt, Schönheit durch daneben angedeutete Gefahr noch schützenswerter.

„Träume Welten Hintergründe“ – eine Ausstellung, die jedem, der bereit ist, über das Abgebildete hinaus zu sehen, etwas anderes bietet. Vordergründe, Hintergründe, manchmal sogar Abgründe.

Träume | Welten | Hintergründe
Olaf Martens Fotografie 1984-2004

Kuratoren:
Dr. Olaf Thormann
Julia Rinck

8. Juli bis 26. September 2004, Museum für Kunsthandwerk Leipzig


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