Treffen sich zwei, schreiben sich zwei

Martin Walsers „Das dreizehnte Kapitel“ untersucht die Grenzen der platonischen Beziehung von Mann und Frau

Martin Walser während einer Lesung auf dem Literaturfestival lit.Cologne 2010 (Foto: Elke Wetzig/CC-BY-SA)

Kaum ein anderer Schriftsteller ist im hohen Alter so produktiv wie Martin Walser. Seit 2011 sind vier neue Bücher von Walser erschienen, das aktuellste davon ist nun der Briefroman Das dreizehnte Kapitel. Solche Emsigkeit macht oft und gerne stutzig, bei Altmeister Walser bleibt die literarische Qualität gewohnt hoch und von der Walser früher oft zum Vorwurf gemachten Lustgreisigkeit ist im sensiblen Spätwerk erst recht kaum etwas zu finden, zumal die beiden Hauptpersonen in Das dreizehnte Kapitel Schlüsselreizen folgen, die fast ausschließlich unkörperlicher Natur sind.

Basil Schlupp, ein dienstälterer Schriftsteller im höheren Alter, wird zu einem feierlichen Abendessen ins Schloss Bellevue eingeladen. Von den Feierlichkeiten eher gelangweilt denn amüsiert, bleibt sein Blick immer wieder an der bezaubernd lächelnden Theologin Maja Schneilin haften, deren Ehemann im Besonderen an diesem Abend für seine Verdienste im Bereich der Pharmazie geehrt werden soll. Schlupp, der in Begleitung seiner Ehefrau zum Dinner erschienen ist, traut sich natürlich nicht, das Objekt seiner Aufmerksamkeit persönlich anzusprechen. Über den persönlichen Referenten des Ehemanns der Theologin kommt er an die private Anschrift der Schneilins.

All dies passiert gerade mal auf den ersten knapp 20 Seiten. Was danach folgt, ist einer der schönsten fiktiven Briefwechsel der letzten zehn Jahre, der sich mit der unbestreitbaren Virtuosität des Altmeisters immer mehr steigert. Wenn sich die beiden anfangs noch auf ihre Berufsbezeichnungen in der Anrede verlassen („Verehrte Frau Professor!“, „Lieber Herr Schriftsteller!“), dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis Basil der charismatischen Maja das Du abspenstig machen wird. Das später einsetzende Duzen ist dann kein Zeichen mangelnder Distanz, sondern bildet vielmehr die notwendige Grundlage zum gegenseitigen Verrat, der – sowohl der Leser als auch die beiden Hauptfiguren des Romans gestehen es sich ein – sehr viel Spaß macht.

So erzählen die beiden neben theoretischen Exkursen in die Theologie von Karl Barth einander munter aus ihrem Eheleben. Basils Ehefrau Iris arbeitet seit Jahren an einem Romanmanuskript, das wohl niemals fertig werden, dafür aber noch elementare Bedeutung für das Briefeschreiben der beiden einnehmen wird. Majas Ehemann Korbinian erkrankt an Krebs und seine Frau legt (aus Lust am Verrat oder aus Frust?) den Verlauf der Krankheit in Einzelheiten dar. Das mag indiskret und trotz aller Bitterkeit ungeheuer vergnüglich sein, aber viel wichtiger ist die damit gestiftete Gemeinschaft, die auf keiner anderen Ebene als dem geschriebenen Wort stattfinden wird. Der Unterschied zwischen Verrat und Betrug ist nun einmal hauchdünn. Würden die beiden aufeinander treffen, wäre diese feine Linie überschritten und dies auch noch völlig unnötigerweise, ist doch von Begierde im Briefwechsel allerhöchstens zwischen den Zeilen zu lesen. Ob denn der intensive Briefverkehr zwischen den beiden schon über das rein Platonische hinausgeht, das soll der Leser dann doch bitteschön für sich selbst entscheiden.

Der Roman mag durch ein paar verzeihliche Schludrigkeiten in seiner Qualität etwas gemindert sein. Der 85-jährige Autor muss nicht wissen, dass man auf dem iPhone keine seitenlangen Briefe tippt. Ebenso verquasselt ist auch mancher Brief im Lauf der Handlung, schließlich gebietet die Form des Briefes doch eigentlich eine Komprimierung dessen, was es zu sagen gilt. Das weiß jeder, der schon einmal mit schmerzender Schreibhand über dem ominösen weißen Blatt Papier lehnte. Wer sich aber an solchen Kleinigkeiten aufhängt, weiß am Ende dann doch nicht die wahre Qualität des Textes zu schätzen, die nun einmal darin liegt, die Möglichkeit des platonischen Verhältnisses von Mann und Frau bis ins letzte auszuloten.

Martin Walser: Das dreizehnte Kapitel

Rowohlt

Reinbek 2012

272 Seiten – 19,95 Euro


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