Aula oder Kirche

Leipzig braucht seine Paulinerkirche als Erinnerungsort

Die Leipziger Universitätskirche war eine der traditionsreichsten Stätten der hiesigen Kultur. Die in Kürze ausstehende Ausschreibung zur architektonischen Neugestaltung des Augustusplatzes hat die Diskussion um den Wiederaufbau der Paulinerkirche neu belebt. Aus aktuellem Anlaß daher der folgende Beitrag. Zu Meinungsäußerungen oder auch weiteren Diskussionsbeiträgen zu dieser Problematik, die im Forum des Leipzig-Almanachs veröffentlicht werden können, seien unsere Leser hiermit ausdrücklich aufgefordert!

Am 30. Mai 1968 wurde in einem von Walter Ulbricht in Gang gesetzten barbarischen Willkürakt die völlig unversehrte, 730 Jahre alte gotische Paulinerkirche in die Luft gesprengt. Damit sollte Baufreiheit für die „sozialistische Neugestaltung“ des damaligen Karl-Marx-Platzes geschaffen werden. Der Universität wurde zum Ersatz für die Kirche der Bau eines Audimax in Aussicht gestellt.

Schon am 20 Juli 1968 hatten fünf Leipziger Physiker in einer spektakulären Aktion während der Abschlußveranstaltung des III. Internationalen Bachwettbewerbes mit einem vom Bühnenboden herabgelassenen Plakat, das die Universitätskirche im Aufriß zeigte, ihren Wiederaufbau gefordert. Nach der Wende von 1989/90 entstand ein mitgliederstarker eingetragener Verein, der die Wiedererrichtung der Kirche in seine Satzung schrieb und sich nach ihr ausdrücklich Paulinerverein nannte.

Daß die Leipziger das Thema Unikirche nach wie vor bewegt und erregt, beweist der starke Zustrom, den in der letzten Zeit mehrere Veranstaltungen in der Alten Nikolaischule, im Zeitgeschichtlichen Forum und in der Gauckbehörde hatten, die mit dem Protest gegen den Abriß von 1968 in Verbindung standen.

Die Paulinerkirche gehört seit der Reformation der Leipziger Universität, sie wurde damals durch Martin Luther neu geweiht. Das Kirchenschiff diente der Universität als Gottesdienstraum und zugleich als Aula. Im Jahr 2009 wird die Universität, eine der ältesten Deutschlands, ihren 600. Geburtstag feiern. Bis zu diesem Zeitpunkt soll das Universitätsareal zum Teil saniert, zum andern Teil um- und neugestaltet werden und der Augustusplatz damit seine definitive Gestalt erhalten. Im November 1998 wurde vom Rektor eine Arbeitsgruppe beauftragt, Leitvorstellungen zum künftigen Bild des „Campus Augustusplatz“ zu entwickeln.

Das von Prof. Dr. Thomas Topfstedt (Institut für Kunstgeschichte) geleitete Team kam zu dem Ergebnis, daß anstelle der gesprengten Paulinerkirche ein Aulagebäude errichtet werden und „in der architektonischen Gestaltung an diese erinnern“ sollte. Auf Grund eines Antrages, den die studentischen Vertreter auf der Konzilssitzung im November 1999 einbrachten, erfuhr dieser Passus der Leitlinie eine „unbedeutende“ Korrektur und lautet nunmehr: „Für akademische Feierlichkeiten, Konzerte und Gottesdienste wird eine repräsentative Aula errichtet.“ In der Universitätszeitung vom Dezember 2000 hebt Prof. Topfstedt – zu dieser Änderung befragt – hervor, daß „eine neu errichtete Kirche im Ensemble der Universitätsneubauten solitär und beziehungslos stehen würde.“ Ein ähnliches Argument war auch 1968 schon zu hören! Alte Abbildungen weisen den Augustusplatz als einen der schönsten Plätze Europas aus, und die giebelständige Fassade der Kirche hat zu allen Zeiten das architektonische Ensemble des Platzes wesentlich mitbestimmt. Sollte moderne Architektur nun vor der Aufgabe kapitulieren wollen, einen dringend benötigten Ort der Erinnerung zu schaffen, der die Gestalt des historischen Raumes wiederbelebt?!
Noch ist die Ausschreibung für die architektonische Neugestaltung des Universitätsareals nicht erfolgt. Ihre Formulierung wird die künstlerische Umsetzung der Vorgaben wesentlich beeinflussen. In dieser höchst kritischen Situation legten die aus Leipzig stammenden Brüder Dietrich und Eckhard Koch, die an der Protestaktion von 1968 in der Kongreßhalle beteiligt waren, nun eine Denkschrift vor, die nicht nur die ganze Problematik umreißt, sondern auch einen ernstzunehmenden Lösungsvorschlag macht.

Die Denkschrift von Dietrich und Eckhard Koch ist auch in Buchform im Stasi-Museum in der Runden Ecke über Frau Hollitzer zu beziehen.

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