Ein Porträt des Professors für Violine Klaus Hertel
Der langjährige Professor für Violine an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy, Klaus Hertel, hat sein 65. Lebensjahr vollendet. Eine beispiellos erfolgreiche Schülerschar ist beredtes Beispiel für seinen didaktisch durchdachten, anspruchsvollen Unterrichtsstil und ein Leben, das sich der langjährigen Tradition Leipzigs als Musik- und Geigerstadt verpflichtete. Ich verdanke Klaus Hertel außerordentlich viel. Mir ist kein anderer Pädagoge bekannt, der mit diesem Erfolg Anfänger über die Kinderklasse bis hin zum Hochschulabschluss führen kann. Dabei steht bei ihm das menschliche Niveau auf der gleichen hohen Stufe wie das künstlerisch-pädagogische. (Frank-Michael Erben, 1. Konzertmeister des Gewandhausorchesters Leipzig und Primarius des Gewandhausquartetts)Ich bin Klaus Hertel sehr dankbar für alles, was er für mich getan hat. Wir Studenten hatten damals immer das Gefühl, zu ihm, zu seiner Familie zu gehören. Klaus ist nie in Superlative verfallen, weder im Positiven noch Negativen, aber er hat es vermocht – und ich kenne keinen sonst, der das von sich sagen kann – aus jedem Schüler, egal, wie hoch die Begabung war, das Optimale herauszuholen und zu einem guten Geiger zu machen. (Gudrun Mehlig-Spörl, Violinistin am Gewandhausorchester Leipzig)Insgesamt zwölf Jahre habe ich bei Klaus Hertel studiert und später als Assistent bei ihm gearbeitet. Seine methodische Klarheit und sein enormes Wissen haben mich von Anfang an fasziniert, während mir seine Präzision im Unterricht und die menschliche Wärme Sicherheit gegeben haben. Der 14- wie der 20-Jährige wusste genau, warum er gerade jetzt dies und nichts anderes tun und was er damit erreichen sollte. Dabei waren meine persönliche Meinung, mein Geschmack, selbst mein Widerspruch immer gefragt und ernstgenommen, und das daraus erwachsene Vertrauen ist nie erschüttert worden. (Albrecht Winter, Konzertmeister am Gewandhausorchester Leipzig)Klaus Hertel ist der beste Pädagoge, den ich kennenlernte – und ich habe durch andere Lehrer Vergleichsmöglichkeiten gehabt. Was er im Unterricht empfahl, hat sich für mich stets als richtig herausgestellt. Für alle geigentechnischen Probleme hat er immer eine Lösung. Toll finde ich, wie er mit Kindern umgeht. (Bettina Freitag, Studentin in der derzeitigen Violinklasse von Professor Klaus Hertel)
Was die unterschiedlichen Erinnerungen eint, ist der Unterricht beim gemeinsamen Hauptfach-Lehrer Professor Klaus Hertel. Nunmehr 44 Jahre lang hat der Sohn eines Leipziger Zeitungsredakteurs an der Leipziger Musikhochschule Generationen von Violinschülern und -studenten ausgebildet und diese in besten Positionen untergebracht. Die Zahl seiner Absolventen ist Legion. Zahlreiche Konzertmeister und Tuttisten an führenden deutschen Orchestern stammen aus seiner Schule.
Berufung zum Lehrer
Frühzeitig, schon mit 17 Jahren, stand für Klaus Hertel, der seine erste Geige im Krieg bekam, fest, dass er sein Leben dem Unterrichten widmen wollte. So zweifelte er nicht eine Minute, als 1958, unmittelbar nach dem Studium, das er bei Ruth Kestner-Boche absolvierte (das zweite Fach war Tonsatz bei Paul Schenk), die Musikhochschule anfragte, ob er dort unterrichten wolle – obwohl er parallel dazu knapp sechs Jahre lang am Gewandhausorchester als ständige Aushilfe beschäftigt war. Mehrere erinnerungswürdige Konzertereignisse unter Franz Konwitschny möchte er nicht missen.
Zunächst waren die Studenten nahezu gleichalt, gelegentlich älter. Die Beschäftigung mit didaktischen Fragen hat ihm Wege gezeigt und – noch heute gültige – Antworten finden lassen. Der Unterrichtsstil hat sich, wie er meint, gewandelt: Mir fiel es sonderbarerweise am Anfang des Lehrerlebens schwer, jemandem etwa Staccato oder Vibrato beizubringen. Heute habe ich dafür so viele verschiedene Übungen, die ich jemandem erklären und zeigen kann, dass eine sicher zum Erfolg führt. Aber es gibt andere Dinge, die werden schwieriger. Dazu zählt unter anderem die Vermittlung eines echten Legato. Ich versuche den Schülern zu erklären, dass der Arm nur die Flachheit der Steg-Rundung nachvollziehen müsse, nichts anderes. Oder ich denke an Auftakte und Abschlüsse: Mit der Arbeit ist auch das Anspruchsdenken gewachsen.
Im Jahre 1968 veranstaltete die Musikhochschule den ersten Bach-Wettbwerb für Schüler. Hertel hat die ersten Wettbewerbe für Schüler fast im Alleingang organisiert. Über viele Jahre war er Juror, übrigens auch im alternierenden großen Bach-Wettbewerb. Er bedauert, dass seit der neuen Regelung, sich auf wenige Fächer pro Turnus zu beschränken, der große Wettbewerb für einige Instrumente, etwa für die Geige, zu lange pausiert ? Geige war zwischenzeitlich sechs Jahre lang nicht dabei.
Die Wende brachte eine Zäsur, auch was die Unterrichtsgestaltung anbelangt: Nach 1989 habe ich mich mit enorm viel Notenmaterial eingedeckt und für mich viel hinzugelernt. Vor allem bereicherten die neuen Musikalien und Lehrwerke, die wir uns bislang nicht kaufen konnten, die studentische Arbeit. Stark engagiert hat sich Klaus Hertel innerhalb der Europäischen Streicherlehrervereinigung, hielt im Ausland Referate, gestaltete Meisterkurse, wurde als Juror eingeladen: Die Musik taugt nicht für hermetisch abgeriegelte Gesellschaften. Berühmte internationale Komponisten haben im 19. Jahrhundert in Leipzig studiert, Edward Grieg und Janacek befestigten den Ruf der Schule im Ausland. Vom Organisten Karl Straube ging eine breite „Flutwelle´ in die ganze Welt aus.
Das kostbare Kleinod: Die Kinderklasse
Ende der 1950-er hatte der damalige Rektor, Professor Rudolf Fischer, eine Kinderklasse ins Leben gerufen, um die pädagogischen Kapazitäten des Hauses auszuschöpfen und einen geeigneten Nachwuchs ? noch immer litt man an kriegsbedingten personellen Auswirkungen ? heranzuziehen. Klaus Hertel: Durch die Kinderklasse war es möglich, was sonst äußerst selten glückt, dass ich viele Kinder von ihrer ersten Unterrichtsstunde bis zum Studienabschluss unterrichten konnte. Zunächst waren dies Kollegenkinder, später haben wir uns an der Thomasschule, die einen musischen Schwerpunkt hatte, aktiv um Bewerber bemüht. Zu diesen frühen Schülern zählt Rainer Sadlik, jetzt an der Münchner Staatskapelle.
Der Erfolg sprach sich bald herum: Wir fuhren zu Wettbewerben, und nachdem wir oft ziemlich erfolgreich abgeschnitten hatten, brauchten wir nicht mehr viel zu suchen. Die Klasse sprach sich schnell herum – wie bei einem guten Bäcker. Weitere Geigenschüler, die Hertel von Beginn an betreute, waren der Erste Konzertmeister am Gewandhausorchester Frank-Michael Erben, die Geigerin am Berliner Sinfonieorchester Franziska Drechsel, die Gewandhausgeigerin Susanne Kootz-Hallmann und der Konzertmeister bei den Berliner Philharmonikern Thomas Timm.
Der zweite Strom von Schülern, die andere Lehrer zu ihm schickten, ist im Alter von etwa zehn Jahren zu Hertel gekommen ? und die hat er dann immer noch zwölf, dreizehn Jahre betreut. Dazu zählen die Leipziger Geigerinnen Gudrun Mehling-Spörl und Liane Unger, beide Gewandhaus, sowie Dorothee Kästner, Rundfunksinfonieorchester, ferner Marian Kraew, Albrecht Winter, Konzertmeister am Gewandhaus und Jörg Fassmann, stellvertretender Erster Konzertmeister an der Dresdner Staatskapelle.
Die dritte Möglichkeit, die Hertel-Klasse zu besuchen, kam durch Förderverträge mit Musikschulen zustande. Dadurch lernte ich, so Hertel, beispielsweise Henrik Hochschild, Konzertmeister am Gewandhaus, kennen oder Stefan Arzberger, Vorspieler dort bei den 1. Geigen.
Weniger Geiger heute?
Dass sich in den letzten Jahren viel weniger Geiger als sonst in Leipzig beworben haben, vor allem deutschsprachige, sorgt ihn. Aber dass die Leipziger Geiger ausstürben – nein, davon will er nichts wissen: Es stimmt, das Verhältnis der Nationalitäten hat sich sehr verschoben. Zu fast drei Vierteln stammen die Aufnahmeprüflinge aus Korea und Japan. Es macht mir Bedenken, dass diese Bewerber meist schon anderswo inskribiert waren, daher älter sind und sich bei uns für ein Ergänzungs- oder Zusatzstudium interessieren?. Außerdem, so gibt er zu überlegen, stünden jetzt die geburtenschwachen Jahrgänge an. Der dritte Grund mag in der Tatsache liegen, dass in Deutschland 26 Musikhochschulen miteinander konkurrieren. In Frankreich gibt es hingegen nur fünf.
Standortvorteil für Leipzig: Das Gewandhaus-Orchester
Jahrhundertelang gab und gibt es die Verbindung zwischen Hochschule und Gewandhaus. Die Traditionslinie der großen Musiker, die gleichzeitig Pädagogen waren, ist ein starkes Band: Ferdinand David, Hans Sitt, Henri Marteau, Joseph Joachim, Edgard Wollgandt, Kurt Stiehler bis Gerhard Bosse wirkten hier und sorgten für eine ausgezeichnete Ausbildung. Klaus Hertel hat sich dieser Tradition stets verpflichtet gefühlt: Ich habe meine ganze Arbeitskraft zur Verfügung gestellt und in einer Traditionsreihe, die von Ferdinand David begründet wurde, meinen Beitrag geleistet, auch publizistisch. Wenn diese Tradition nun fortgeführt werden könnte nach meiner Emeritierung, wäre das schön für mich und wichtig für die Musikhochschule.
Derzeit, zählt man die Geiger mit Zeitverträgen und Substituten zusammen, spielen 18 Violinisten aus Hertels ?Stall? im Gewandhausorchester. Meinen Schülern sagte ich immer, versucht es mit einem Probespiel am Gewandhaus. Wenn es nicht klappt, müsst ihr woanders hingehen. Warum sollen aber sehr gut ausgebildete Musiker nicht zunächst am Ort der Ausbildung vorspielen, was ja auch im hohen Maße dem ursprünglichen Gründungsgedanken von Felix Mendelssohn Bartholdy entspricht?
Ein aufmerksamer, besonnener und strenger Lehrer
Man hört heute immer wieder von jungen Instrumentalisten, die ohne große soziale Kontakte aufwachsen, weil sie täglich sechs bis acht Stunden üben (müssen). Ich halte davon nicht so viel, weiß aber natürlich um die ganz wenigen Ausnahmetalente, die sich durchsetzen, so Hertel. Er hat sich der Kontinuität verschrieben: In mindestens drei Fällen hätte ich meine Hochbegabten dermaßen drillen können, dass sie mit zwölf Jahren das Brahms-Konzert hätten spielen können. Und ich habe es drei mal nicht gemacht. Warum? Ich bin für eine Entwicklung in aller Ruhe.
Er sieht einen beginnenden Geiger als Marathonläufer, der 42 Kilometer vor sich hat. Man kann nach 36 Kilometern mit 10 Minuten führen, aber wenn der Kollaps kommt, geht nichts mehr. Das Wichtigste ist, dass man nach 42 Kilometern vorn ist. Einige werden zu früh verschlissen. Das habe nichts mit einer gezielten Förderung von Kind auf und einem richtigen In-die-Wege-Leiten zu tun.
Interessanter Unterricht
Klaus Hertel widmet sich im Unterricht, den er unerbittlich wöchentlich abhält (bisweilen zwei Mal wöchentlich) vor allem der adäquaten Entwicklung von Streichertechnik und musikalischer Aussage. Es nütze nichts, nur die ewigen Fingerübungen herunterzunudeln, sondern es ist wichtig zu verstehen, warum sich das Thema so aufbaut, warum man diese Linie entspannt spielen muss und jene mit Spannung. Wie Goethe meint: ?Das Was bedenke / mehr das Wie‘. Wichtig sei, was die Schüler am Ende des Studiums vorweisen und die nächsten sechs, sieben Jahre danach, um ihr Leistungshoch zu erreichen.
Hilfreich ist, mit Gegenpolen zu arbeiten. Wenn einer nur motorisch nachspielt, dann sage ich ihm: Setze dich zu Hause hin und schreibe mal die Noten aus dem Gedächtnis auf. Wenn einer nur intellektuell herangeht, dem sage ich: Stelle Dich mal in der Dämmerung hin zum Üben, höre auf den Ton und überprüfe, ob es das schon ist, was du willst. Vielleicht kannst Du noch einen anderen Klang in Dein Spiel hineinbringen. Und ? das ist ihm ganz wichtig: Man muss dem Schüler sein eigenes Gesicht lassen. Es wäre nicht gut, wenn man mir sagen würde: Ihre Schüler spielen alle gleich.
Der Methodiker
In seinen Methodik-Vorlesungen ist er bestrebt, den goldenen Mittelweg zu gehen. Ich habe meine Geige mit und führe vieles vor. Wenn ich etwa über Vibrato spreche, dann spreche ich zwar über Amplitude und Frequenz, zeige aber unterschiedliche Bewegungsmöglichkeiten, wie Armvibrato, Unterarm-Vibrato.
Als Lehrer hat Hertel nicht nur versucht, den Leuten gutes Geigen beizubringen, sondern zudem auch das, was sie als Persönlichkeiten sind, zu fördern und dort, wo sie Defizite haben, etwas hinzuzugeben. Ich habe auch mittelmäßig begabte Schüler gehabt, die es aufgrund ihres enormen Fleißes, ihrer Intelligenz und ihrer Charakterstärke bis in Spitzenklasse-Orchester geschafft haben. Das geht nur über die Anlage von hervorragenden Spielfunktionen.
Die Geigertradition am Gewandhaus ist auch mit didaktischen Publikationen verbunden. Hertel, der sich als komponierender Lehrer sieht, hat zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt: Die langjährige Beschäftigung mit der Violinpädagogik bei Kindern führte dazu, dass ich zahlreiche didaktische Lehrwerke schrieb: Von kleinen Stücken und kleinen Konzerten bis zu Trios, die bei Peters und Hofmeister erschienen sind. Mein meistgespieltes Werk ist ?Liedspiel auf der Violine‘. In den didaktischen Kompositionen versuchte er, grifftechnische oder bogentechnische Probleme, die etwa bei einem Vivaldi-Konzert auftreten, mit Idiomen aus der Musik des 20. Jahrhunderts aufzupeppen: Plötzlich steht dann ein unerwarteter Taktwechsel, eine sonderbare Harmonie oder ein unvorhergesehenes Intervall vor dem Schüler, um ihn aus eingefahrenen Bahnen zu locken.
Große Dankbarkeit
Hertel ist trotz seiner enormen Karriere bescheiden geblieben. Am Klingelschild steht der Name ohne Titel. Protz oder Statussymbole sind ihm fremd. Ich bin glücklich, dass ich mit allen meinen Schülern nach wie vor in sehr gutem Kontakt stehe. Meine Studenten waren neben meiner Familie das Wichtigste, immer. Er wird die in seiner Klasse verbliebenen Studenten in einem Decrescendo molto zum Studienende führen, unterrichtet in diesem Frühjahr außerdem noch einmal in Paris. Die Methodik-Vorlesungen hält er weiter, solange noch kein passender Nachfolger gefunden wurde. Es ist auch eine große Freude für ihn, dass mit Bettina Abdank und Albrecht Winter gute Lehrer den Stil seines Unterrichts fortführen.
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