Anatomie am Vormittag 1

Auf die Fragen, ob und wo Geld im Kulturbereich eingespart werden solle und wem die Kultur diene, konnten keine Antworten gefunden werden

In der Reihe „Anatomie am Vormittag“ trafen sich am Sonntag Politiker, Vertreter des Kulturamtes, der Freien Szene, der Intendant des Schauspiels Leipzig und interessierte Bürger – letztere nur sehr wenige – in der naTo, um über die Leipziger Kulturszene zu reden. Die geringe Teilnehmerzahl überraschte, gemessen an der Empörung, die an vielen Stellen laut wurde, als Etatkürzungen im kulturellen Bereich an die Öffentlichkeit drangen. Ist das Kulturangebot für viele Leipziger inzwischen vielleicht zu selbstverständlich geworden? Oder wird vielleicht nach den Streichungen und ungewöhnlichen kulturellen Streikaktionen des „Weißen Januar“ gar nichts vermisst?

Zwei Initiativen, die AG Kommunales Kino und die Akademie der freien Künste, nutzten die Gelegenheit an diesem Sonntag, um ihre Arbeit vorzustellen. Marc Siegmund von der AG Kommunales Kino machte deutlich, wie stark das Filmprogramm, das vor allem in der naTo gezeigt wird, vom Idealismus der Mitarbeiter abhängig ist. Für dieses Jahr, so Siegmund, sind die Lohnkosten teilweise ausgesetzt, will heißen, die Mitarbeiter können nicht weiter beschäftigt werden. Dies bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Programmvielfalt der AG. Vor allem hat Siegmund gezeigt, wie weit die Kooperation mit anderen Vertretern der Freien Szene bereits fortgeschritten ist. Der häufig gehörter Vorwurf mangelnder Effizienz sei nicht berechtigt.

Auf ein anderes Problem der Freien Szene machte Ingrid Sonntag von der Akademie der freien Künste aufmerksam. Die Akademie hat in der Vergangenheit anspruchsvolle Lesungen und Vortragsreihen in der Oper, Moritzbastei und Handelsbörse organisiert. Nur leider, so Ingrid Sonntag, wurde später nur über die bekannten Häuser geredet, während die Akademie als Veranstalter überhaupt keine Erwähnung fand.

Effizienz. Zentralisierung. Diese beiden Schlagwörter fielen häufiger an diesem Vormittag. Als erster schlug Intendant Wolfgang Engel vom Schauspiel Leipzig in diese Kerbe. Sicherlich ist seine Frage nach einer B“ündelung der Kräfte“ berechtigt. Genauso hat er Recht, wenn es gilt, ein „Verzetteln zu verhindern“. Aber um welchen Preis? Dann kam Engel zur Frage, die für die Aktion „Weißer Januar“ wahrscheinlich von zentraler Bedeutung ist. Die Frage, ob „die Fülle von Angebot gerechtfertigt ist.“ Eine Antwort darauf fand man freilich in der naTo nicht.

Einen flammenden Appell für die Freie Kulturszene hielt Frau Blume vom Klubhaus Walther Bart e.V. in Paunsdorf. Soziales Engagement, so ihr Vorwurf in Richtung Stadt, wird überhaupt nicht mehr registriert: „Es geht nur noch um das Sparen, nicht um das Erhalten.“ Eine Zentralisierung, wie von Wolfgang Engel vorgeschlagen, ginge aber auch zu Lasten der Stadtteilkultur. Ohne das Gespenst von Rechtsradikalismus und Drogensucht übergroß an die Wand malen zu wollen, sei gerade in Grünau oder Pausdorf das kulturelle Angebot ein eminent wichtiger Ausgleich für Kinder und Jugendliche.

Frank Elstermann von der naTo brachte die Bedeutung der Freien Szene auf den Punkt: „Unser Wert ist die soziale Bewegung, die wir verursachen.“ Resignierende Antwort von Susanne Kucharski-Huniat, der Leiterin des Kulturamtes: „Ich bin da ohnmächtig.“ Allerdings muss dem Kulturamt zugute gehalten werden, dass es die Aktion „Weißer Januar“ im Rahmen seiner Möglichkeiten und gegen manchen Widerstand innerhalb der Stadtverwaltung unterstützt.

Wie weit der Wahnsinn des zweiten Arbeitsmarktes – sprich ABM – auch in der Kulturszene fortgeschritten ist, zeigten die kurzen Ausführungen einer Mitarbeiterin des THEATRiums in Grünau. Nach dem neuen JobAktiv-Gesetz, mit dem sich die Bundesregierung so rühmt, müssen 25 Prozent der Lohnkosten von den Trägern bezahlt werden, die eine ABM beantragt haben. Als hätte das nicht schon einschneidende Auswirkungen auf die Budgets, so müssen die Träger nach dem neuen Gesetz zusätzlich noch einen „Qualifizierungsplan“ vorlegen. Dieser Plan sieht vor, dass für die ABM-Angestellten sechs Wochen Qualifizierungsmaßnahmen von den Häusern bezahlt werden müssen. Natürlich mit einem Zertifikat am Ende.
Es gehört schon einige Fantasie dazu, sich gestandene Künstler bei einem Schweißer- oder Stenografie-Lehrgang vorzustellen. Wird diese Verordnung umgesetzt, hat das THEATRium schon angekündigt, im Mai schließen zu müssen. Wenig hilfreich war da die Bemerkung eines Zuhörers, der aus Bremen nach Leipzig gezogen ist: „Man müsse dann irgend etwas erfinden, um die ABM genehmigt zu bekommen.“ Der Grat ist sicherlich sehr schmal, aber es kann doch nicht Sinn und Zweck von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sein, zu lügen und zu betrügen, um eine Förderung zu erhalten.

Das Schlusswort hatte Wolfgang Engel und er gab einen Ausblick auf die Diskussionen, die noch zu führen sein werden. Es wäre illusorisch zu glauben, so der Intendant, dass die verkündeten Einsparungen das Ende der Fahnenstange seien. Vielmehr seien sie der Anfang. Auch wenn jetzt Geld eingespart wird, hätte man in den kommenden Jahren keine Ruhe. Es müsse außerdem klar sein, dass „Kultur immer für eine Minderheit ist“.

In dieser Hinsicht ist es nicht sehr ermutigend gewesen, so wenige Vertreter dieser Minderheit an diesem Sonntagvormittag in der naTo gesehen zu haben. Am kommenden Sonntag sollen in der Schaubühne Lindenfels Vorschläge für die strukturelle Neuordnung in der Kulturszene diskutiert werden. Man darf gespannt sein.

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