Starke Bässe und samtiger Sound

CD Empfehlung Ensemble Amarcord: „Hear The Voice”

Das Ensemble Amarcord wurde im Herbst 1992 von ehemaligen Mitgliedern des Leipziger Thomanerchores gegründet. Die Besetzung seit 1995 ist mit Wolfram Lattke (Tenor), Dietrich Barth (Tenor), Frank Ozimek (Bariton), Daniel Knauft (Bass) und Holger Krause (Bass) festgelegt und steht in seinem hohen Anspruch, seinem samtigen Sound, seinen starken Bässen ziemlich in der Nachfolge des in den 1980-ern von Georg Christoph Biller gegründeten Leipziger Arion Collegiums, das Insidern noch heute ein fester Begriff ist. Leider hatten die Jungs damals nicht die Möglichkeiten, Platten aufzunehmen, eine große Fangemeinde hatten die Ex-Thomaner der damaligen Generation allemal.

Das Amarcord-Ensemble verfügt über ein breites Repertoire, das sich von der Gregorianik über die Romantik bis zur zeitgenössischen Musik erstreckt, wobei der Schwerpunkt sicherlich – wie die CD beweist – auf der (Sakral-) Musik des 16. und des 20. Jahrhunderts liegt. Man bemerkt in allen 18 Piecen der CD den professionellen Anspruch. Beim Hilliard Ensemble sowie bei den Kings Singers haben die Jungs Feinheiten ihres Rüstzeuges gelernt, aus europäischen Wettbewerben gingen sie als Preisträger hervor.

Das circa 1546 komponierte vierstimmige If ye love me von Thomas Tallis (1505-1585) macht den beeindruckenden Anfang. Tallis wurde um 1805 geboren. Wo, ist nicht bekannt, vermutlich in der Grafschaft Kent. Wann genau er Mitglied der Musikkapelle des Monarchen in London wurde, ist nicht genau datierbar. Thomas Tallis´ prächtige Chormusik spiegelt die verzierte, spezifisch britische Zeit wider, seine lebendigen Chöre lösten die alten Votiv-Antiphonen um Mitte des Jahrhunderts ab. Die Verse sind weitgehend polyphon-syllabisch gesetzt, was eine insgesamt motivisch kleinteilige Imitation bedingt. Glänzend ist die melodische Disposition.

Francis Poulenc (1899-1963) war eine Art Doppelnatur: auf der einen Seite ein Pariser Dandy, der aus seiner Homosexualität nie ein Geheimnis machte, auf der anderen Seite neigte er zum Katholizismus, zu dem ihn 1935 eine Fahrt zum französischen Wallfahrtsort Rocamadour zurückgeführt hatte. Seine geistlichen Chorwerke zeugen von dieser Wandlung. Sie hinderte ihn nicht, seinem Personalstil treu zu bleiben: Hinter der Fassade von Frechheit, die gelegentlich die Banalität nicht scheut, verbirgt sich oft eine hohe Sensibilität, so auch in seinen Quatre petites pri?res de Saint Francois d?Assise. Wie kaum ein zweiter Komponist hat Poulenc, wie das Ensemble Amarcord kunstvoll widerzugeben vermag, eine moderne Musik geschrieben, die den Hörer sofort anspringt.

Rudolf Mauersberger (1889-1971), der Sohn eines Kirchschullehrers aus Mauersberg, kam bereits in der Kindheit mit der im Erzgebirge liebevoll gepflegten evangelischen Kirchenmusik in Berührung. 1912-1914 studierte er am Konservatorium in Leipzig bei Karl Straube (Orgel), Robert Teichmüller (Klavier) und Stephan Krehl (Komposition). Nach verschiedenen Positionen übernahm er 1930 das Kreuzkantorat in Dresden – hier kamen seine Vorzüge als Chordirigent, als liturgisch engagierter Kirchenmusiker und als praxisnaher Komponist voll zum Tragen: Der Dresdner Kreuzchor wurde zu einem Spitzenchor. Hat er bis 1920 autonome Kunstwerke geschrieben, so entstanden danach Werke für die praktischen Gegebenheiten. Das in Dresden Entstandene ist auf die spezifischen Möglichkeiten eines großbesetzten, klanglich virtuosen und leistungsintensiven Knabenchores zugeschnitten, so auch die auf der CD zu hörenden Herr, lehre mich und De profundis. Letzteres, komponiert in deutscher Sprache, erinnert in seiner Deklamation, Interpretation, Dynamik und gefestigten Orientierung deutlich an die damaligen Aufführungen in der Böhlitzer kleinen Kirche, als dieses Werk zu Johannes Weyhrauchs Gedenken alljährlich vom Vorgänger-Ensemble Arion gegeben wurde – und dies adelt das heutige Team. Gib ihnen die ewige Ruhe – mystisch, geheimnissvoll, das Ende voraussehend, einen starken Zusammenhalt schaffend, so singt das Ensemble Amarcord heute wieder diese Bitte. Glücklicherweise! Mauersberger wollte Werke schreiben, die für den Hörer musikalisch-formal und in ihrer geistigen Aussage nachvollziehbar sind – Amarcord präsentiert diese mustergültig!

Im Zentrum der Zusammenstellung steht allerdings – schon vom zeitlichen Umfang her – Carl Orffs Sunt lacrimae rerum. Es sind Cabriones seriae, der Text stammt von Orlando di Lasso aus dem Liber Ecclesiastes III (anonym). Orff will stets seine Gedanken und Ideen zu den letzten Dingen künstlerisch formen, so auch hier. Damit kommt er einer mächtigen Neigung der Deutschen entgegen, die sich stets bedeutend angesprochen fühlen, wenn sie etwas nicht verstehen. Nicht nur die Wortwahl und die geografisch fernen Bildungsstoffe im Gewand einer hochstilisierten Diktion entziehen sich einer unmittelbaren Begrifflichkeit und geraten zu mehr oder weniger klanglichen Verfremdungen und akustischen Gebärden: Alle Texte unterliegen den strengen, gelegentlich pathetischen Gesetzen Orffscher Formgebung mit ihren skandierenden Wiederholungen und rhythmisierten Silbenstückelungen. Das äußert sich im eklektischen Psalmodieren einfachster Tonrepetitionen im Unisono ebenso wie in heterophoner Urtümlichkeit, die bis hin zu emphatischen Glissandoschleifen reicht. Hörenswert ist so etwas allemal!

CD, Ensemble Amarcord: „Hear The Voice“

Kompositionen von Thomas Tallis; Francis Poulenc; Josquin des Préz; Peter Cornelius; Rudolf Mauersberger

Aufnahmedatum: 2001
Qualität: DDD
Erscheinungsjahr: 2001
Spieldauer: 58:04

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