Amerika existiert doppelt

Susan Sontag liest auf der Buchmesse

In den Gängen sitzt man auf dem Boden, die Stühle stehen eng gedrängt. Vierhundert bis fünfhundert Leute bevölkern den Oberlichtsaal und die zu den Bibliotheksräumen geöffneten Seiteneingänge, als sich Sigrid Löffler, Susan Sontag und Christa Gottschalk kurz nach 21 Uhr an die Mikros setzen.

Amerika existiere doppelt, beginnt Frau Löffler ihre Moderation. Als reale Weltmacht und als Mythos einer neuen Welt, in der man Land, das Paradies oder sich selbst finden könne. Für dieses Doppelbild stehe Susan Sontag als Essayistin und „Kritikerin der martialischen Extravaganzen“ einerseits und Autorin eines Romans andererseits, der im 19. Jahrhundert spielt und mit Mythen des Aufbruchs und der Auswanderung nach Amerika arbeitet. Auch ein Theaterroman sei es, ergänzt Susan Sonntag: die Erfolgsgeschichte Marinas („A star is born.“), einer jungen polnischen Frau, die vom klassischen Theater in Polen zum populären Melodram nach Amerika wechselt. Aber es sei wohl wahr: der Titel eines Kunstwerkes präge wesentlich den Blick auf das Kunstwerk. Zuerst habe sie den Roman „Krise im Leben einer Schauspielerin“ nennen wollen.

Daß das Publikum bei ihren einführenden Worten wiederholt scheinbar grundlos zu klatschen beginnt, wie zum Beispiel bei Sontags Feststellung, sie sei zum zweiten Mal in Leipzig und habe beim ersten Mal ihren Roman „Der Liebhaber des Vulkans“ vorgestellt, weist auf die Sympathie für die charismatische Autorin (Jahrgang 1933) hin. In eindringlichem, zart schnodderigem Amerikanisch liest sie eine Briefpassage aus „In Amerika“; in deutscher Sprache schließt sich die Schauspielerin Christa Gottschalk mit einem Schlußkapitel des Romans an, das aus einem Monologdialog zwischen dem betrunkenen und redetrunkenen Schauspieler Edwin und der zuhörenden Marina besteht. Eingebaut in die Rede sind Theaterweisheiten mit Anspielungen auf Theaterstücke und -inszenierungen sowie Reflexionen zur metaphorisch zu sehenden Rolle, die einer/eine im Theater/Leben spielt.

Das sich anschließende Gespräch zwischen Sigrid Löffler und Susan Sonntag lebt von ebenso klugen und feinsinnigen Fragen wie Antworten. Am Thema des Romans fasziniere sie die Möglichkeit von Schauspielern, sich selbst zu widersprechen und diese Widersprüche zu inszenieren, so Susan Sontag. In der Vergangenheit spiele der Text, weil Idealismus in diesen Zeiten noch glaubwürdig sei, während man heute in einer Zeit lebe, in der es üblich sei, zynisch zu sein. Altruismus sei da eher etwas Altmodisches. Marina nun sei eine Mischung aus idealistisch und egoistisch, nehme an utopischen Experimenten teil, wende sich dem Theater stärker zu als den Liebhabern und entwickle eine spirituelle Hingabe an die eigene Arbeit. Die Frage allerdings, ob es Parallelen zu ihrer Arbeit gebe, sei ihr peinlich, sie werde oft gestellt. Natürlich liebe sie ihre Figuren, und sich zu verlieben sei ja auch eine Art Idealismus, und natürlich seien die Figuren angereichert mit eigenen Erfahrungen („I put something of myself in all my characters.“), aber sie versuche, sich nicht selbst zu beschreiben. Die Öffentlichkeit sei durch die Medien so imprägniert, daß sie alles autobiographisch abbilden wolle. Nein, dies sei auf keinen Fall ein Roman über Susan Sontag in irgendeinem Kostüm.

Am Ende des Dialogs über den Text „In Amerika“, Essayistik, Verpflichtungen zur intellektuellen Debatte der sechziger und siebziger Jahre und Sontags Beschluß, Romane zu schreiben (sie habe eine lange Zeit gebraucht, um zum Roman zu kommen, aber schließlich sei das Leben kein Wettrennen), steht dann doch Tagespolitik, insbesondere das aktuelle Kritikverhalten in den USA. Zur Zeit herrsche in Amerika eine Selbstzensur der Intelligenz. Die politische Klasse sei ohne Opposition, da man leicht als Verräter oder unpatriotisch deklariert werde, wenn man den amerikanischen Ruf nach dem ewigen Krieg hinterfrage. Sie selbst habe nach einem kritischen Artikel in der FAZ Reaktionen von Ankündigungen des Entzugs der Staatsbürgerschaft bis zu Todesdrohungen erlebt. Was das wohl sei: diese kritiklose Gegenüberstellung von Gut und Böse.

Susan Sontag: In Amerika
23. März 2002, Stadtbibliothek

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