Ihr Eindruck von dieser Lesung?Bedrückender Blick zurück

Man kennt sich am Deutschen Literaturinstitut, und man ist gerne unter sich. Warum wollte sich nur der Eindruck nicht verflüchtigen, es handle sich bei der Lesung mit Herta Müller um ein Oberseminar, zu dem auch alkoholische Getränke gereicht werden?

Die in Rumänien geborene Herta Müller unterrichtet in diesem Sommersemester am Literaturinstitut. Eine Arbeit, die sie mit Hingabe mache, wie Josef Haslinger bemerkte. Die Gelobte konnte da nur noch zustimmend nicken. Das Werk von Herta Müller, so Haslinger, sei geprägt von einer „Wiedererkennbarkeit“. Diese Wiedererkennbarkeit habe ihre Wurzeln in Herta Müllers „amputiertem Leben“ unter der Diktatur Ceaucescus, bis sie Anfang der 1980er Jahre nach Deutschland ausreisen konnte. Wobei „Ausreisen“ den Kern der Sache nicht richtig trifft. Sie emigrierte. An diesem Abend las sie aus einem Essay und erklärte: „Die Studenten wollten, dass ich mal über mich erzähle“. Dabei beschränkte sich nicht nur darauf, über ihr Leben in Rumänien zu erzählen, sondern versuchte auch, eine Antwort darauf zu geben, was Sprache bewirken kann.

Ihre Antwort war eine sehr persönliche. Aufgewachsen im deutschsprachigen Teil Rumäniens, lernte sie schon als Kind zu schweigen und zu verschweigen. Monotone körperliche Arbeit degradierte den Kopf dazu, „die Nase und die Augen zu tragen“. Die Bürde des Lebens ließ die Menschen verstummen. Herta Müller erinnerte sich, dass zwanzig bis dreißig Bauern stundenlang nebeneinander arbeiten konnten, ohne ein Wort miteinander zu reden. Sie berichtete von dem frühen Kontakt mit dem Tod, wenn die Kinder mit in die Häuser der Verstorbenen genommen wurden. Davon, wie stark die Landschaft mit dem Tod assoziiert wurde. Von der Einsamkeit beim Hüten der Kühe. Erst wenn der dritte Zug durch das Tal gerumpelt war, wusste sie, das es Zeit war zu gehen. Mit wem soll man reden, wenn nur geschwiegen wird? Im Dialekt des Dorfes gab es kein Wort für „einsam“. Es gab nur das Wort „allein“ und das klang wie „wenig“.

Später arbeitete Müller in einer Maschinenfabrik als Übersetzerin. Hier begannen die Schikanen des allmächtigen Geheimdienstes Securitate, als sie sich weigerte Informationen zu liefern. Stundenlange Verhöre, als Einbrüche fingierte Hausdurchsuchungen. Was kann Sprache in solchen Momenten? Ist Sprache immer gleich Heimat? Müller plädierte dafür, diese Gleichung nicht zu selbstverständlich zu verwenden. Woher stammt diese Formel? Von den Emigranten, für die ihre Muttersprache ein „letztes Beharren auf sich selbst“ war. Der Sprache werden in Diktaturen die Augen zugehalten. Man kann alle Fakten erzählen, aber sie sind nicht alles. Das Schweigen beginnt da, wo die Verzweiflung nah ist, wenn man Angst hat, für verrückt erklärt zu werden. Der Blick auf das Leben wird durch die Angst vergrößert. Wenn das Leben jeden Tag beendet sein kann, dann beginnt man aus Trotz zu leben. Herta Müllers Worte waren eindringlich. Ob es das war, was die Studenten wissen wollten?

Sie liest vom Armenfriedhof, wo viele Opfer des Geheimdienstes verscharrt wurden. Von der toten Frau, die sie gesehen hat, mit Draht gefesselt und ertränkt. Als sie im Westen ankam, erinnert sich Herta Müller, sagten Freunde, sie solle nicht alles erzählen, man würde ihr nicht glauben. Und so hat sie die Geschichte vom Armenfriedhof bis jetzt nicht erwähnt. Es wurde ziemlich bedrückend im Foyer des Literaturinstituts. Später sagte sie, dass die DDR und Rumänien nicht zu vergleichen sind. Die DDR war ein Paradies, Rumänien war die Finsternis. Und dieses Rumänien beschäftigt sie weiter, auch wenn sie seit langem nicht mehr dort lebt. Dass ihre Bücher wichtiger denn je sind, beweisen die heutigen Aktivitäten des Geheimdienstes, dessen Einfluss unter neuem Namen ungebrochen ist. Angst, Bespitzelungen. Es gibt Autoren, sagte Herta Müller, die können sich ihre Stoffe nicht aussuchen.

Lesung mit Herta Müller
30. Mai 2002, Deutsches Literaturinstitut

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