Des Maestros Verdammnis

Fuentes verlässt in seinem neuen Roman das mexikanische Territorium

Bislang kannte man Carlos Fuentes vor allem als einen Autor, der sich in seinen Büchern mit der Geschichte und Politik Mexikos und Lateinamerikas auseinandergesetzt hat. Die Gründe für dieses Interesse liegen vielleicht in der Kindheit und Jugend von Fuentes, der als Sohn eines Diplomaten vor allem in den Vereinigten Staaten aufgewachsen ist. Erst mit sechzehn Jahren kehrte er nach Mexiko zurück. Fuentes hat einmal – auf die Frage nach seiner Identität – gesagt, er sei erst durch Willensanstrengung und einen Akt der Vorstellungskraft Mexikaner geworden.

Mit seinem neuesten Werk Das gläserne Siegel betritt Carlos Fuentes literarische terra incognita. Worum geht es? Ein in Ehren ergrauter Dirigent, Gabriel Atlan-Ferrara, dirigiert in Salzburg zum letzten Mal Hector Berlioz‘ La Damnation de Faust. Das gläserne Siegel ist seine imaginäre Verbindung zu der Sopranistin Inez Prada, die er bei einer Probe zu Berlioz‘ Oper in London kennenlernte. La Damnation de Faust ist das Schicksal der beiden Protagonisten. Die Oper wird sie im Abstand von mehreren Jahren noch zweimal zusammenführen. Jedoch immer nur für kurze Zeit. Die dritte und letzte Begegnung findet 1967 in London statt. Danach verliert sich die Spur der gefeierten Sängerin. Einzig das gläserne Siegel ist dem Dirigenten nun noch geblieben. Allein gelassen mit seinen Erinnerungen, beginnt nun für ihn der lange Weg des Alterns.

Die Liebesbeziehung, die fast unvermeidliche, ist aber nur ein Aspekt des Buches. Es ist nicht der überzeugendste Teil des Romans. Fuentes bedient sich hier einer Ausdrucksweise, die im Spanischen vielleicht einen melodischen Klang entwickeln kann, im Deutschen oft aber nur aufgesetzt wirkt. Fast meint man, das Ringen nach Worten der Übersetzerin noch aus den Zeilen lesen zu können. Ganz anders hingegen die Passagen, wo Fuentes das Bild des Dirigenten zeichnet. Hier zeigt er sich als Opernliebhaber und guter Beobachter. Und es fällt nicht schwer, in dem greisen Gabriel Atlan-Ferrara den verstorbenen Sergiu Celibidache (1912-1996) wiederzuerkennen. Wie Celibidache, der Schallplattenaufnahmen als „tönende Pfannkuchen“ bezeichnete, verweigerte sich auch der greise Dirigent allen Konzertmitschnitten. Für Atlan-Ferrara ist jede neue Aufführung von La Damnation de Faust eine erste Begegnung mit dem Werk. Pointiert schildert Fuentes auch eine Opernprobe. Wie die Macht und Dominanz des Dirigenten durch einen einfachen Widerspruch und die Ausstrahlung der Sopranistin gebrochen wird, liest sich wie ein Kapitel aus „Wie wird man Dirigent“.

Carlos Fuentes hat mit Das gläserne Siegel einige unbekannte Pfade beschritten. Dabei ist nicht zu übersehen, dass er sich manchmal etwas verlaufen hat. Und so bleibt nur noch, sich dem Rat Fuentes anzuschließen: Der Leser sollte vor oder nach der Lektüre die Oper von Berlioz hören. Zumal momentan gerade in Leipzig Gelegenheit dazu besteht.

Carlos Fuentes: Das gläserne Siegel
Aus dem mexikanischen Spanisch von Sabine Giersberg
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2002
207 Seiten, 19,90 €

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