Musikalische Logik und klangliche Intensität

Kleines Orchester spielt Bachs Kunst der Fuge in der Fassung von Siegfried Thiele in der Thomaskirche

„Wohl selten hat die Thomaskirche eine so festlich gestimmte Gemeinde in ihren Mauern gesehen, wie an diesem Sonntag, als hier aus allen Teilen des Reiches die treue und begeisterte Gefolgschaft des größten Thomaskantors zusammengeströmt war, um das letzte Vermächtnis Johann Sebastian Bachs dankbaren Herzens entgegenzunehmen, jenes Testament, das erst heute, mehr als 175 Jahre nach dem Tode des Meisters, eröffnet und in seinem unschätzbaren Wert erkannt wurde“.

Die Schilderung der Atmosphäre, die 1927 Dr. Adolf Aber anlässlich der Uraufführung der Kunst der Fuge (in der Fassung für großes Orchester) niederschrieb, lässt sich ohne Verrenkungen auf das Konzert in der Leipziger Thomaskirche anlässlich des 252. Todestages des Leipziger großen Thomaskantors übertragen.

Ein handverlesenes Publikum trat an, dem diesmal von Siegfried Thiele für Kammerorchester gesetzten polyphonen Werk an Bachs Grabstätte zu lauschen. Auch wenn das Abschlusskonzert der Reihe „Johann Sebastian Bach und seine Städte“ in der Leipziger Thomaskirche im Rahmen des MDR Musiksommers anscheinend nicht mitgeschnitten wurde (es waren keine Mikros zu sehen) – ein Erfolg wurde es allemal.

Das Thüringische Kammerorchester Weimar spielte unter Leitung von Thomaskantor Georg Christoph Biller ambitioniert, wenn auch nicht allzu virtuos jene „Summa der musikalischen Logik“, die Bach ursprünglich nach Art der italienischen Orgeltabulatur niedergeschrieben hatte. Das bedeutet, dass sich in der älteren Geschichte meist die Tasteninstrumente an den vertrackten Fugen versuchten. Da es aber auch keine ausdrückliche Vorschrift für die Instrumentierung gibt, haben seit jeher zahlreiche Bearbeiter versucht, diese harte Nuss zu knacken: Ob es sich erweisen lasse, dass Bachs Kunst der Fuge mehr sei als ein Kompendium virtuos gelöster Kontrapunktaufgaben, oder ob sie – mittels eines tönenden Beweises – ein tieferes Interesse beanspruchen dürfe.

Nun erklang also die Bearbeitung (1984) des ehemaligen Rektors der Leipziger Musikhochschule, Siegfried Thiele. Thiele lässt das Klanggeschehen auf vielfältige Weise lebendig werden, durch artikulatorische, dynamische, notationstechnische und natürlich instrumentenspezifische Raffinessen (Registrierung). So beginnen – Anton Webern lässt mit seiner Bach-Bearbeitung grüßen – die Harfe und die Flöte mit ihrem Contrapunctus I. Und so, wie bei Bach die kontrapunktische Schwierigkeit von einfachen Fugen über Gegenfugen, Spiegelfugen, Fugen im doppelten und dreifachen Kontrapunkt und Fugen, bei denen zwei oder auch drei neue Gegenthemen eingeführt werden, steigt, so steigt auch der Grad der musikalischen und klanglichen Intensität bei Thiele. Dabei geht er bei seinen Geflechten keineswegs linear vor, sondern gliedert das Werk dramaturgisch sinnvoll in verschiedene Einzelpakete.

Den letzten, unvollendeten Satz plante ja Bach als monumentale Fuge mit vier Themen, und da sie durch Bachs Tod abbricht, fügte Carl Philipp Emanuel Bach, der das Werk erstmals herausgab, den Choral Wenn wir in höchsten Nöten sein (BWV 668) ein, was denn auch diesmal so gehandhabt wurde. Gesungen wurde dieser Schlusschoral sowie eine Wiederholung des Contrapunctus I auf den Text „Jesus Christus: Anfang und Ende“ (Bearbeitung: Gerhard Ziebarth) vom Leipziger Vokalensemble, das nach wie vor eines der führenden Kammerchöre im Raum Leipzig ist. Der kleine aber feine Chor trug so zum Gelingen des Abends bei.

Konzert im Rahmen des MDR-Musiksommers

Johann Sebastian Bach: Die Kunst der Fuge
(Bearbeitung für kleines Orchester von Siegfried Thiele)

28.07.2002, Leipziger Thomaskirche

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.