Tobi und die große Teenangst-Saga

Tobias Hülswitt schreibt gut und ist bescheiden

Jetzt ist Schluß! Kaum sind die Tränen getrocknet, die Grabreden gesprochen, da hat der deutsche Kulturjournalismus sich ein neues Thema auf die Fahnen geschrieben, über das es sich trefflich zu debattieren lohnt. In der FAZ konzedierte ein Feuilletonist den Untergang des deutschen Pop-Journalismus. Seine Vertreter arbeiteten bei jetzt, dem abgesetzten, hippen Jugendmagazin der Süddeutschen-Zeitung, arbeiteten vorher bei tempo, Transatlantic oder anderen Publikationen. Ein Epitaph auf jetzt und seine Autoren, die aber allesamt inzwischen auf dem deutschen Buchmarkt angekommen sind.

So wie Tobias Hülswitt: Jung, selbstbewusst, der Traum eines jeden KiWi-Lektors. Hülswitts erster „Roman“, im Jahr 2000 bei den obengenannten Kiepenheuer & Witsch erschienen, trägt auf dem Umschlag das Logo von jetzt wie ein Gütesiegel: Seht her, das ist freche deutschsprachige Literatur, scheint uns diese Form von branding signalisieren zu wollen. Hülswitts Roman erschien in einer Zeit, da pubertierende Internatsschüler Bestsellererfolge landen und adrett gekleidete Oasis-Fans mit ihren Lesungen große Konzerthallen ausverkaufen konnten. Ja, hört man den Leser ächzen, die Pop-Literatur! Im Gegensatz zu den versammelten Leberts, Krachts, Blessings und Stuckrad-Barres blieb es vor gut zwei Jahren um Hülswitts Debüt einigermaßen still.

Warum also nun eine Rezension dieses schmalen Bandes, bedenkt man noch die im FAZ-Feuilleton konstatierten unwirtlichen Zeiten für junge Pop-Literatur? Die Antwort ist einfach: Tobias Hülswitt kann schreiben, und er hat sogar Brief und Siegel darauf. In diesem Frühsommer legte er seine Abschlußarbeit am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig vor, erhielt die höheren Weihen der Haslinger-Treichel-Schule und las schließlich als Absolvent des Studienganges auf dem Sommerfest des DLL, wo er dem Rezensenten auffiel. Seinerzeit trug Hülswitt einen kurzen Zeitungsartikel zur Gestaltung des Abends bei, der durch seinen lakonischen Betrachter-Stil und seinen feinen Humor zu überzeugen wusste.

Saga, der erste Roman Hülswitts, versammelt auf knapp 150 Seiten Miniaturen aus dem Leben des jungen Tobi und seiner Freunde. Man darf annehmen, daß die Geschichten aus Saga in erster Linie autobiographisch gefärbt sind. Tobi kommt aus der Provinz und nach dem Abitur zieht es ihn in die Fremde, zum Studium, zu einer Steinmetz-Lehre (wie Herrn Hülswitt auch), zum erneuten Studium nach Leipzig. Die üblichen Idiosynkrasien postwendesozialisierter junger Menschen dominieren die Handlung des Romans, und doch liest sich ?Tobsis? (so nennen ihn die Freunde) Buch weitaus erheiternder und unterhaltsamer als bspw. (und der Vergleich ist zwangsläufig) Leberts Crazy oder Krachts Faserland. Tobias Hülswitt nimmt sich viel Zeit, die Figuren lebensnah und vielschichtig einzuführen, sie in Beziehung zu setzen zum Ich-Erzähler, seinen Gefühlen und Ängsten. Vom Erwachsenwerden handeln die Stories, die zu einem Ganzen nur vom Ich-Erzähler und seiner Reise durch Land und Lebensgeschichte zusammengehalten werden.

Vieles von dem, was der Autor und seine Freunde so durchmachen, hat jeder Leser jenseits der Zwanzig schon so oder so ähnlich erlebt. Campingausflüge, die in einem Desaster enden. Drogenerfahrungen, die keiner Vertiefung bedürfen, die erste große Liebe, die zweite große Liebe, die dritte große Liebe usw. In seinen besten Momenten erinnern Hülswitts gesammelte Eindrücke an die inneren Monologe des Kevin Arnold, jenes heranwachsenden High-School Schülers aus der Erfolgsserie ?The Wonder Years?: man fühlt sich stets mittelmäßig, und doch verzeichnet man rückblickend all die negativen Erfahrungen als Gewinn an Lebensqualität und Reife. Leider erspart uns der Autor nicht den ein oder anderen Ausfall ins Peinliche, die obligatorischen Beischlafbeschreibungen (erste Liebe – erster Sex) wirken bei Hülswitt aufgesetzt und blutleer. Doch trübt dieser Einwand das Lesevergnügen bei Saga nur unwesentlich. Sicher ist das keine ganz große Literatur, auch wenn einige Kapitel durchaus von hohem literarischen Wert sind: meist sind dies die Szenen, in denen Tod und Melancholie Einzug in das junge Leben der Protagonisten halten. Auch die Reiseimpression aus dem irischen Cork ist Hülswitt vortrefflich gelungen, und dann verzeiht man ihm den ein oder anderen Ausfall bei der Darstellung des Zwischenmenschlichen.

Auch wenn es jetzt nicht mehr gibt, seine Autoren und Freunde leben und schrieben weiter. Fast wünschte man sich, sie alle könnten so gut schreiben wie Tobias Hülswitt und sich dabei auch nur annährend so bescheiden geben.

Tobias Hülswitt: Saga
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2000
150 Seiten, 7,50 €

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