Startprobleme

Ein Klavierabend mit Vesselin Stanev und Werken von Beethoven,Brahms und Chopin

Die „Appassionata“ zählt zu den Schlüsselwerken in Beethovens Schaffen. In ihr zeigen sich viele Merkmale seines Komponierens besonders deutlich, so zum Beispiel das Ableiten der Hauptthemen aus einer einfachen, für sich betrachtet fast banalen Keimzelle, oder die Art und Weise, in der einzelne Passagen und Momente stets dem großen Ganzen untergeordnet und von ihm her definiert werden. Neben den keineswegs zu unterschätzenden technischen Schwierigkeiten verlangt die „Appassionata“ vom Pianisten ein hohes Maß an Verständnis für die formale Anlage der Sonate und außerdem die Fähigkeit, dieses Verständnis in eine strukturell klare und dynamisch ausbalancierte Interpretation umzusetzen.

In mancher Hinsicht ist der bulgarische Pianist Vesselin Stanev an diesem epochalen Werk gescheitert. Schon der Beginn des ersten Satzes, der fatalistisch herabstürzende f-Moll-Dreiklang, geriet ihm zu lapidar. Unsaubere Stellen gab es zu viele. Manchmal führten manuelle Probleme sogar zu einer Verlangsamung des Tempos, einem Stocken der Bewegung. Auch das Legatopedal musste oft als Retter herhalten. Die Folge: Statt klarer Strukturen war oft nur undefinierbares Gemurmel zu hören.

Nachdem die Themen „gleichsam an sich selber zugrunde“ gegangen sind (Adorno), endet der erste Satz – in einer komponierten Katastrophe. Beethoven lässt darauf einen Variationensatz folgen. Stanev bot hier große, bewegende Musik, zelebrierte den Satz wie ein gedankenschweres Selbstgespräch. Dabei erwies er sich als ein Meister klanglicher Nuancierungskunst, was ihm später auch bei Brahms zugute kam.

Der dritte und letzte Satz dämpfte die Begeisterung wieder und ließ Probleme erkennen, die denjenigen im ersten Satz ähnelten. Vor allem war da wieder dieser Kampf gegen die horrende Technik, dem auch hier einiges an Deutlichkeit zum Opfer fiel. Mehr noch als vorher hatte Stanev an manchen besonders heiklen Stellen deutliche Probleme, Herr der Lage zu bleiben. Allzu häufig gab er die Zügel fast aus der Hand. Eine laute und brutale Coda beendete eine Aufführung, die trotz einiger positiver Aspekte eher als missglückt einzuschätzen ist.

In den sieben Klavierfantasien op. 116 verbindet Brahms musikalische Komplexität mit romantischer Schwelgerei. Sind die Capriccios (die Fantasien 1, 3 und 7) von drängendem, rastlosem Charakter und muten manchmal fast brutal an, so verbreiten die mit „Intermezzo“ betitelten Nummern eine eher ruhige, elegische Stimmung. Die Ausgestaltung dieser Fantasiensammlung gelang Stanev hervorragend. Der Mittelpunkt der sieben Stücke, ein traumhaftes Adagio, ließ pianistisches Können auf höchstem Niveau hören. Man wünschte sich, die Musik möge nie enden.

Zum Abschluss gab es Etüden im Dutzend. Chopins Etüden op. 10 eignen sich recht gut zum Vortrag. Zwar merkt man einigen von ihnen an, dass sie vor allem zu Übungszwecken gedacht sind, andererseits gibt es auch wirklich originelle (und berühmte) darunter. Stanev versuchte, jedem der kurzen Bravourstücke eine individuelle Färbung zu geben, was ihm auch meistens gelang. So kam kaum Langeweile auf. Die rauschende erste Etüde, die beliebte dritte, vor allem aber die zwölfte, die „Revolutionsetüde“ – sie alle verfehlten ihre Wirkung nicht und stimmten zum Ende des Konzerts mehr als versöhnlich. Eine Zugabe (als Dank für lang anhaltenden Beifall) rundete schließlich einen Klavierabend ab, der zwar zunächst enttäuschte, sich im weiteren Verlauf aber doch als sehr hörenswert erwies.

Ludwig van Beethoven: Klaviersonate f-Moll op. 27 „Appassionata“
Johannes Brahms: Fantasien op. 116
Frédéric Chopin: Etüden op. 10

Vesselin Stanev, Klavier

12. September 2002, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

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