Laut und leise

Ein Grosses Concert des Gewandhausorchesters mit Werken von Bartók und Bruckner

Er wolle „für Mutti ein Klavierkonzert schreiben; dieser Plan hängt schon seit langer Zeit in der Luft“, schrieb Bartók 1945, kurz vor seinem Tod, an seinen Sohn. Die Fertigstellung erlebte der Künstler nicht mehr. Siebzehn Takte blieben unvollendet. Sie wurden später von einem Schüler Bartóks vervollständigt. Seine Ehefrau spielte das für sie gedachte Stück nie in der Öffentlichkeit. Bei Bartóks drittem Klavierkonzert scheinen die Umstände des Entstehens fast in den Hintergrund zu treten; ist in ihm doch nichts von dem Ringen mit der Krankheit zu spüren.

Der erste Satz überrascht mit einem sehr optimistischen Charakter. Schienen am Anfang das Orchester und Garrick Ohlsson noch miteinander zu ringen, setzte sich der Solist doch durch. Ruhig und langsam schlug er die Töne an, wie ein Klavierschüler, der sein Instrument kennen lernen will. Aber dass Ohlsson sein Instrument beherrscht, daran ließ er an diesem Abend keine Zweifel aufkommen. Sehr überzeugend präsentierte er seine Virtuosität. Im Zusammenspiel mit den Bläsern zauberte er Orgelklänge in den Saal. Im langsamen zweiten Satz schienen die religiöse Grundstimmung und das bewegte Naturbild im Mittelteil auch die Musiker gefangen zu nehmen. Am Schluss entlud sich die Spannung wie ein Furor, suchten Schlagzeug und Streicher sich gegenseitig zu übertreffen.

In seinem Spaziergang durch die Meisterwerke der klassischen Musik schreibt Joachim Kaiser zu Bruckners 4. Sinfonie: „Kurt Masur – kein genialer Dirigent, aber ein mit viel Herz und Kunstfertigkeit werktreu der großen Sache dienender Kapellmeister bietet ruhige, atmende, sorgfältige und gegenüber dem rätselhaften Genius Bruckners demütige Aufführungen.“ Und Herbert Blomstedt?

Ruhig begann der erste Satz mit den Streichern und einem hellen Rufen des Horns. Dann war es mit der Beschaulichkeit erst einmal vorbei. Die Blechbläser legten sich gleich mächtig ins Zeug. Als ob es darum ginge, sich für die internationalen Meisterschaften im Alphornblasen zu qualifizieren. Da wurden Klangbilder von gigantischen Ausmaßen geschaffen. Der Saal schien unter der Wucht der Klangexplosion zu bersten. Die Töne brachen wie eine Lawine über die Zuhörer herein. Ganz im Gegensatz dazu stand die bezaubernd sanfte Querflöte, die den Choral der Blechbläser anstimmte. Der Mann an den Pauken schien sich der Worte Goethes zu erinnern:

„Du mußt steigen oder sinken,
du mußt herrschen und gewinnen,
oder dienen und verlieren,
leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein.“

Jedenfalls bearbeitete er wie ein Schmied sein Instrument mit bewundernswerter Verve. So impulsiv wie dieser erste Satz bei Bruckner geht bei anderen Komponisten normalerweise ein Finalsatz zu Ende.

Danach war im zweiten Satz Luftholen angesagt, konnten sich Violinen und Bratschen den romantischen Stimmungen Bruckners widmen. Im dritten Satz blies das Horn zur „Hasenjagd“, breitete sich eine Wald- und Wiesenstimmung aus. Fulminant wieder die Blechbläser, die wie eine Gruppe galoppierender Pferde durch den Saal fegten. Das war aber nur die Vorbereitung auf das Finale, welches alles bis dahin Gehörte in den Hintergrund zu drängen schien. Unvergesslich die Intonation des Hauptthemas. In diesem grandiosen Gewitter aus Akkorden stand Blomstedt wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Dann war Schluss und Rezensent machte sich mit dröhnendem Kopf auf den Heimweg. Nachdem das Orchester schon vor zwei Wochen unter Riccardo Chailly vom süßen Nektar des Triumphes gekostet hatte, gelang nun eine eindrucksvolle Wiederholung.

Béla Bartók, 3. Konzert für Klavier und Orchester
Anton Bruckner, 4. Sinfonie Es-Dur („Romantische“)

Garrick Ohlsson, Klavier
Gewandhausorchester, Dirigent: Herbert Blomstedt

4.Oktober 2002, Gewandhaus, Großer Saal

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