Der Beethoven-Zyklus

Herbert Blomstedt und Solist Sebastian Breuninger geben mit dem Gewandhausorchester Beethovens Vierte und Fünfte

Vom Schicksal kleiner Schwestern: Beethoven-Zyklus IIDas Gewandhausorchester spielt Beethoven – nichts Neues, möchte man sagen. In dieser Saison geht Herbert Blomstedt aber aufs Ganze. So sollen in der laufenden Saison Beethovens sämtliche Sinfonien zur Aufführung kommen; ein Projekt mit großem Anspruch und ungewissem Ausgang. Nach einer mittelmäßigen „Zweiten“ und einer hervorragenden „Dritten“ (siehe Rezension zum Beethoven-Zyklus I)standen im jüngsten „Grossen Concert“ die Nummern vier und fünf auf dem Plan. Lässt sich bereits ein übergreifendes Konzept dessen umreißen, was „Beethoven in Leipzig 2002“ bedeuten könnte? Und wie wird das Projekt sich weiter entwickeln? Der „Leipzig-Almanach“ wird diese Fragen auch anhand der folgenden Konzerte regelmäßig im Auge behalten und am Ende rückblickend bewerten, ob Herbert Blomstedt und das Gewandhausorchester die selbstgesteckten Ziele erreicht und den erhobenen Anspruch eingelöst haben.

Eine Parallele zum Eröffnungskonzert des Beethoven-Zyklus‘ fällt sofort ins Auge: Hier wie dort kamen zwei Sinfonien zur gemeinsamen Aufführung, die in ihrer Grundhaltung wie auch in ihrer öffentlichen Bekanntheit völlig voneinander abweichen. Im vorherigen Konzert traf die heiter-festliche (allerdings auch hintergründige) „Zweite“ auf die kämpferische, heldische „Eroica“, in diesem Konzert musste sich die temperament- und humorvolle, aber trotzdem selten gespielte „Vierte“ gegen die übermächtige „Schicksalssinfonie“ durchsetzen – ein aussichtsloses Unterfangen.

Aussichtslos zumindest dann, wenn man sich, wie Blomstedt und das Gewandhausorchester, zu sehr auf der sicheren Seite hält und nicht den nötigen Mut aufbringt, die Stärken der Sinfonie voll auszuspielen. Das aber hätte die Aufführung der „Vierten“ erst zu einem wirklichen Ereignis machen können. Sicher, wirklich etwas auszusetzen gab es eigentlich nicht; dennoch wollte keine rechte Begeisterung aufkommen.

Der erste Satz geriet etwas matt, schon die grandiose Einleitung ging Blomstedt übervorsichtig an. Das Orchester spielte über weite Strecken durchaus energisch und impulsiv, der sprichwörtliche Funke sprang aber nur selten über. Ein bisweilen etwas schwammiges Klangbild im Tutti trug auch nicht gerade dazu bei, diesen Eindruck zu korrigieren.

Der zweite Satz, ein wunderbares Adagio, überzeugte vor allem durch schöne Soli der Bläser. Was die Tempowahl betrifft, hätte man Blomstedt hier noch mehr Mut zum langen Atem gewünscht. So hätte das endlos sich verströmende, wunderbare Hauptthema sicherlich noch an Wirkung gewonnen. Der dritte Satz, ein originelles Scherzo, erfreute durch sehr akkurates Spiel bei trotzdem packendem Einsatz. Hier kündigte sich bereits der mitreißende Kehraus des Finalsatzes an.

Dieses Finale verwirklichte schließlich das, was man von einem Beethoven-Zyklus im Jahr 2002 erwartet: Hier wurde ein Beethoven gespielt, der zugleich vertraut und neu wirkte, der perfekt zwischen klassischem Ebenmaß und impulsivem Überschwang ausbalanciert war und der bei allem klanglichen Glanz nicht seiner Klarheit und Transparenz beraubt wurde. So erwies sich diese „Vierte“ am Ende doch noch als alte Bekannte in neuem Gewand ? einem strahlenden.

Die „Fünfte“ geriet Blomstedt und seinem Orchester zur musikalischen Sternstunde: ein explosiver, beinahe atemloser erster Satz, ein Andante in tief empfundenem Ausdruck (herrlich die tiefen Streicher mit ihrem homogenen, warmen Klang!), ein Scherzo, wie man es sich subtiler nicht wünschen kann und zuletzt ein Finale, das kein Halten kannte. Blomstedt lehnte sich hier weit aus dem Fenster, schlug ein rasantes Tempo an, aber die Rechnung ging auf. Hier hatten Pathos und übermäßige Schwelgerei keinen Platz, hier tobte das pralle Leben, wie es soeben siegreich aus langem Kampf hervorgegangen ist. Die Lorbeeren gebühren vor allem den Holzbläsern, allen voran der Soloflöte. Einziger Wermutstropfen in dieser grandiosen Aufführung war der manchmal etwas undifferenzierte Streicherklang. Aber man kann eben nicht alles haben.

Es scheint so, als habe sich an diesem Abend eine Konstellation des Eröffnungskonzertes wiederholt, das ja ebenfalls mit der eher farblosen Aufführung einer der „kleinen“ Sinfonien eröffnet wurde. Wer gehofft hatte, diesen zu Unrecht vernachlässigten Werken würde durch eine zyklische Aufführung Gerechtigkeit zuteil, wurde leider eines Schlechteren belehrt. Wirklich eindrucksvolle Leistungen gab es bislang nur bei der „Dritten“ und „Fünften“ zu hören. Schade.

Grosses Concert

Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60
Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
Romanze für Violine und Orchester G-Dur op. 40
Romanze für Violine und Orchester F-Dur op. 50

Gewandhausorchester Leipzig, Herbert Blomstedt
Sebastian Breuninger, Violine

10. Oktober 2002, Gewandhaus, Großer Saal

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