Und sterbend singen sie „Candela, candela!“

Ricardo Piglia legt ein Ganovenstück vor

Der Autor ist, man muß es ohne Umschweife so formulieren, ein Nobody auf dem europäischen Buchmarkt. Während der 1941 in Buenos Aires geborene Schriftsteller, Essayist und Kritiker in seiner lateinamerikanischen Heimat schon längst den Ruf eines der wichtigsten Autoren in der Nachfolge des großen Jorge Luis Borges genießt und auch amerikanische Eliteuniversitäten wie Princeton und Harvard ihn zu ihren Gastdozenten zählen, nahm man in der übrigen Welt von seinem Ruhm zu Lebzeiten kaum eine Notiz. Daß dies sich nun ändert ist der Verdienst des ambitionierten Verlegers Klaus Wagenbach und seines kleinen Berliner Verlags. Gleich zwei Romane Piglias, die sich in Form und Inhalt allerdings grundlegend voneinander unterscheiden, veröffentlichte der Wagenbach Verlag in diesen Tagen, und die Kritikerschar zeigt sich bereits jetzt voll des Lobes für die beiden Werke „Künstliche Atmung“ und „Brennender Zaster“.

„Brennender Zaster“, insofern lautet der Buchtitel programmatisch, ist ein rechtes Ganovenstück. Piglia rekonstruiert einen legendären Kriminalfall der 60er Jahre, der auf eigentümliche Weise die Befindlichkeiten des post-peronistischen Argentiniens einzufangen und zu kondensieren versteht. In der Zeit von September bis November des Jahres 1966 ereignete sich in Buenos Aires und in der Folge in Montevideo ein kriminalistisches Schauerstück: eine Bande von „Pistoleros“ erbeutete nach einem regelrechten Blutbad 500.000 US-Dollar aus einem Geldtransport und versuchte sich mit der Beute von Argentinien aus ins benachbarte Ausland abzusetzen. Was hier klingt wie ein rasanter Filmthriller in der Manier von „Getaway“ oder „Natural Born Killers“ verdichtet sich bei Piglia zu einem halbdokumentarischen Roman, der, aus zahlreichen Erzählperspektiven zusammengesetzt, ein lebhaftes Bild der tatsächlichen Ereignisse nachzuzeichnen versucht.

Dem Autor ist es, wie er in einem ausgedehnten Nachwort unumwunden zugibt, dabei weniger bestellt um die wahrheitsgetreue Aufarbeitung des Falles; vielmehr rührt ihn als Autor die persönliche Geschichte der Beteiligten. So traf Piglia auf einer Zugfahrt die kurzzeitige Geliebte eines der Gangster, was seine Nachforschungen in Gang brachte. Piglia zitiert aus Polizei- und Vernehmungsprotokollen, Tonbandaufnahmen und Tagebucheinträgen, montiert diese mit fiktiven Beschreibungen der Tatumstände und generiert so einen Roman, der dort, wo in Zeitungsartikeln anonyme Leichen aufgeführt werden, die Geschichte dieser Menschen erzählt.

Mit den Vorbereitungen der Gangster unter Anleitung des ehemaligen Häftlings Malito setzt Piglias wundersame Verwebung von Realität und Fiktion ein. Beinahe minutiös schildert der Romancier den Ablauf des Coups, die sterbenden Wachleute und Passanten im Kugelhagel, die überstürzte Flucht der „Pistoleros“, welche weitere Opfer fordert. Der kalte Blick des Beobachters vermischt sich dabei mit dem Gossenjargon der Handelnden, der fluchenden, koksbeseelten Räuber und des Kommissars Silva, den Piglia meisterhaft als Antagonisten zu den nicht im geringsten sympathisch wirkenden Gangstern in Szene setzt. Mit dem Verlauf der Handlung treten immer neue Personen und ihre Verwicklung in den Fall ans Tageslicht: ein Animiermädchen aus Montevideo, das einem der Räuber ihre Liebesdienste erweist, einzelne Polizisten und Informanten, die auf der Jagd nach der Beute ihr Leben lassen müssen. Sie alle tragen zur Manifestation plots bei, geben dem Roman die ein oder andere Wendung.

Schließlich der Showdown in einem Wohnungskomplex von Montevideo: die Gangster gehen in eine kalkulierte Falle und werden von der Polizei umzingelt. Ohne ihren Anführer Malito kommt es zu einem finalen Gemetzel, in dessen Verlauf der Autor detailreich und lautmalerisch die Feuergefechte zwischen Polizei und Verbrechern darstellt. Jeden Einschlag, jede Verwundung vermeint der gefesselte Leser mitzuempfinden, mit jeder genauen Beschreibung des Todeskampfes eines der unglücklichen Polizisten, sehnt er ein schnelles Ende dieses Purgatoriums herbei. Piglia läßt sich Zeit bei der Ausschmückung dieses letzten Kapitels, und als es endlich vorbei, sprich alle „Pistoleros“ gerichtet sind, bzw. der Letzte von einem aufgebrachten Mob beinahe gelyncht wurde, ist auch das Buch zu Ende. Viele Tote sind zu beklagen, das erbeutete Geld wurde vor den Augen der Öffentlichkeit verbrannt, der Chronistenpflicht ist Genüge getan. Scheinbar.

Ricardo Piglias Buch, das wie gemacht zu sein scheint für eine Verfilmung, dokumentiert nur an der Oberfläche einen „unbedeutenden Kriminalfall“. Unter dieser Oberfläche aber wartet der Roman mit einer zweiten Ebene auf, die große Literatur antizipiert, politisch und engagiert ist. Über dreißig Jahre nach den tatsächlichen Geschehnissen erst erschien „Brennender Zaster“ im Original, in einer Zeit, die trotz des allerorten konzedierten Fortschritts der Menschheit das Böse im Menschen, seinen Wahn und seinen Blutdurst als gegebenes Faktum hinnehmen muß. In einem Land, das sich plötzlich in Angst und Chaos wiederfindet, weil die Finanzen nicht mehr stimmen. Was in Piglias Roman ein Geldtransporterraub ist, spielt sich im Argentinien nach der Jahrtausendwende auf einer Metaebene ab: auch hier geht es um Dollars, die Verderben über die Menschen bringen. Von einem prophetischen Roman zu sprechen wäre wohl unangebracht. Doch schreibt der Autor in einer großen Tradition, und er ist nicht der erste lateinamerikanische Autor, der auf Symbolik zurückgreift, um dem Argwohn gegenüber den Zuständen in seinem Land sprachmächtig Ausdruck zu verleihen.

In seiner kurzen Erzählung „Der Süden“ schrieb Borges von einem unbescholtenen Argentinier, der unversehends in einen Kampf auf Leben und Tod gerät. Für den alten, blinden maestro der argentinischen Literatur waren Gewalt und Tod stetige Begleiter des Menschen in diesem schönen, gefährlichen Land. Ricardo Piglia folgt seinem Meister in dieser Einschätzung.

Ricardo Piglia: Brennender Zaster
Berlin: Klaus Wagenbach, 2001
190 Seiten, 17,50 €

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