Gruß an G.

Musik zum Reformationstag mit dem Gewandhauskammerchor unter Leitung von Morten Schuldt-Jensen

Der Reformationstag bietet traditionell eine willkommene Gelegenheit, auch einmal geistliche Musik in den Konzertsaal zu bringen. Dass dem lutherischen Choral dabei eine besondere Bedeutung zukommt, versteht sich fast von selbst. Chor- und Orgelwerke der Romantik standen in diesem Jahr auf dem Programm des Gewandhauses. Das Spektrum reichte dabei von Felix Mendelssohn Bartholdy als einem frühen, bis hin zu Max Reger als einem späten Romantiker. Zwischenabstufungen waren mit dem Dänen Niels Wilhelm Gade und Johannes Brahms vertreten. Für Abwechslung im Ablauf sorgte der Wechsel von unbegleitetem Gesang, solistischer Orgelmusik und Chorwerken mit instrumentaler Begleitung. Trotz dieses Wechsels wirkte das Konzert nicht zerrissen, sondern eher wie Variationen über das Thema Reformation.

Eröffnet wurde der Reigen mit einer Psalmvertonung aus Felix Mendelssohn Bartholdys „Drei Psalmen“ op. 78, was den unvermeidlichen Bezug zu den Mendelssohn-Festtagen herstellte. Dass der Gewandhauskammerchor sich gleich zu Beginn a cappella mit einer achtstimmigen Motette präsentierte, verdient Respekt. Leider fehlte es den Choristen etwas an Selbstbewusstsein, manche Einsätze kamen nur zaghaft – eine Tendenz, die sich im weiteren Verlauf des Abends eher fortsetzte. Trotz dieses Mangels gab es viele schöne Momente, blühten viele Stellen klanglich auf. Besonders die stillen, verhaltenen Passagen gelangen hervorragend.

Nach der Pflicht kam die Kür, in diesem Fall Musik des dänischen Komponisten Niels Wilhelm Gade. Gade ist mit der Musikgeschichte Leipzigs aufs Engste verbunden, war er doch mit Mendelssohn und Schumann befreundet (man denke nur an den „Gruß an G.“ mit den Tönen G-A-D-E in Schumanns „Album für die Jugend“). Zeitweise leitete er sogar das Gewandhausorchester. Nach wie vor harren Gades Werke einer Wiederentdeckung. Ein Schritt hierzu ist mit dem heutigen Konzert getan, ein weiterer folgt in wenigen Tagen mit der Aufführung weiterer Chorwerke. An diesem Abend brachte der Gewandhauskammerchor drei kurze Kompositionen zu Gehör, eingerahmt durch zwei „Tonstücke für Orgel“ aus Gades op. 22. Gewandhausorganist Michael Schönheit spielte routiniert die Charakteristika der grundverschiedenen Orgelstücke heraus, wobei das energisch auftrumpfende erste „Tonstück“ durch eine etwas unglückliche Registrierung etwas verschwommen daherkam. Die Chorsätze machten Lust auf mehr Gade im Konzert, mussten sie sich doch keineswegs hinter den übrigen Kompositionen des Abend verstecken. Der Chor hatte zum Teil Probleme damit, Abschnitte wirklich gemeinsam zu beenden; auf der anderen Seite bestach er erneut durch ein phantastisches, makelloses Piano. Dass die Sängerinnen und Sänger sich erst setzten, als Schönheit schon mit dem zweiten der „Tonstücke“ begonnen hatte, und damit erhebliche Unruhe verursachte, sei nur als (ärgerliche) Randnotiz vermerkt.

Auf die Werke von Johannes Brahms und Max Reger soll hier nur kurz eingegangen werden, da prinzipiell das oben Gesagte gilt. Michael Schönheit bot Regers Choralfantasie über „Ein feste Burg ist unser Gott“ mit gewohnt exzessivem Körpereinsatz und manierierter Attitüde ? was ihm aber gegönnt sei, solange die musikalische Darstellung stimmt. Und wie Schönheit die Choralmelodie durch alle Wirrnisse und den größten Tumult hindurch nie aus den Augen verlor, sondern immer präsent hielt, wiegt viele Eitelkeiten mehr als auf. In Regers Motette „O Tod, wie bitter bist du“ aus op. 110 gab es leider mehrfach Intonationsunsicherheiten, auch bei Brahms‘ Chorwerken machten sich solche bemerkbar. Den Abschluss des Konzerts bildete Regers Choralkantate „Meinen Jesum lass‘ ich nicht“. Es war eine gute Idee, dieses Werk an den Schluss zu stellen, da hier neben der Orgel auch eine Solovioline und -bratsche mit von der Partie waren und dem Abend ein finales Glanzlicht verliehen. Zwar sang niemand im Publikum die letzte Strophe des Chorals mit, wie Reger es sich eigentlich gedacht hatte, aber gerechnet hätte damit wohl ohnehin niemand.

Musik zum Reformationstag

Kompositionen für Chor und Orgel von Brahms, Gade, Mendelssohn und Reger

Michael Schönheit, Orgel
Gewandhauskammerchor
Leitung: Morten Schuldt-Jensen
Gunnar Harms, Violine
Birgit Steinbach, Viola

31. Oktober 2002, Gewandhaus, Großer Saal

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