Perfekt inszenierter Showdown

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft: Das Gewandhausorchester und Wagner mit Dirigent Lothar Zagrosek

Gewandhausdramaturg Siegwald Bütow konnte sich beim Grossen Concert dieser Woche beruhigt zurücklehnen. Das Programm war perfekt auf das finale furioso abgestimmt. Wurde doch alles unternommen, um Musiker und Zuhörer auf den seltenen Leipzig-Besuch aus der Bayreuther Villa ?Wahnfried? vorzubereiten. Aber die beiden anderen Komponisten waren beileibe nicht nur Lückenfüller. Für die vermeintlichen Antipoden Mozart und Wagner war Richard Strauss das denkbar günstigste Bindeglied. Vater Strauss, lange Jahre Erster Hornist in der Königlich Bayerischen Hofkapelle, konnte den musikalischen Neuerungen seiner Zeit nur sehr wenig abgewinnen. Auch ein Beethoven fand vor seinen Augen keine Gnade! Sohn Richard hingegen erblickte in Wagner und Liszt einen neuen Zeitabschnitt, dem er sich verpflichtet fühlte. Gab es einen musikalischen Nenner, auf den sie sich ohne Bedenken verständigen konnten, dann war es die Musik Mozarts.

Mozarts „kleine“ g-Moll-Sinfonie ließ von Beginn an keine Zweifel aufkommen, wohin die Reise gehen würde. War der Auftakt noch heiter und beschwingt, entdeckten das Orchester und sein Dirigent Lothar Zagrosek etwas, dem bereits Sten Nadolny einen Roman gewidmet hat: die Langsamkeit. Wie in Zeitlupe spielte das Orchester, bemächtigten sich die düsteren, bedrückenden Akkorde des Saales. Pathos allerorten. Nur in den beiden letzten Sätzen leuchteten hellere Kadenzen wie Sonnenstrahlen kurz durch das dunkle Wolkenband. Da kamen die hervorragenden Bläser sorglos des Weges entlanggeschlendert, wie Herolde, die von der nahen Ankunft des Don Juan künden wollten.

Doch zuvor erklang ein bajuwarischer Triumphmarsch in Gestalt von Strauss‘ Hornkonzert. Die Langsamkeit wurde von der famosen Marie Luise Neunecker im wahrsten Sinne des Wortes weggeblasen. Auch hier geriet der Bayreuther Gast keineswegs außer Sichtweite. Wie eine leibhaftige Brünhilde stand die Solistin neben dem Pult. Ihr kleines Horn erklang wie eine ganze Formation von Fanfaren. Das Orchester versuchte nicht, sich in Grabenkämpfe um die Vorherrschaft auf dem Podium einzulassen. Zwischen donnernd und hauchzart gerieten die Töne. Auch die beiden Gewandhaushornisten blieben von der Darbietung nicht gänzlich unbeeindruckt und schauten gelegentlich ziemlich konsterniert auf ihre Noten. Dabei gab es dazu keinen Anlass. Eindrucksvolles Fazit: Neuneckers Aufführung brach eindrucksvoll eine Lanze für die Befreiung des Horns aus der Umklammerung der omnipräsenten Volksmusik. Der Kampf geht weiter. Mehr davon!

Nach soviel Ankündigung hatte es der Tausendsassa Don Juan leicht, sich die Sympathien des Publikums zu erobern. Ohne Umschweife legten sich die Streicher gleich mächtig ins Zeug, flitzten ihre Bögen über die Saiten, vibrierten die Felle der Pauken. So war geschwind ein Netz aus Akkorden geflochten, in das man sich bedenkenlos fallen lassen konnte. Der überbordenden Lebenslust, dem Gefallen an frivolen Liebesabenteuern hatten nur die Flöten und die Oboe etwas entgegenzusetzen. Sie allein konnten den jugendlichen Charmeur etwas bremsen. Nach soviel Tanz auf mehreren Hochzeiten verabschiedete sich der Don Juan mit einem matten Moll.

Dann war es soweit, und Wotan durfte die Bühne betreten. Das Pult bog sich unter der mächtigen Partitur. Zagrosek, Leipzig und Wagner – das gab es schon einmal. Fast zumindest. Von 1990 bis 1992 Chefdirigent an der Oper Leipzig, sollte Zagrosek 1993 Wagners „Ring“ dirigieren. Genervt von Udo Zimmermanns chaotischer Personal- und Spielplanpolitik warf er das Handtuch. Jetzt, zehn Jahre später, hat er gezeigt, wie groß hier das Bedürfnis nach dem Titanen aus Bayreuth ist. Und auch die Musiker zeigten, dass man nicht immer notgedrungen nach Bayreuth pilgern muss, um einen „ordentlichen“ Wagner zu hören. Zagrosek fand für den konzertanten Wagner genau den richtigen Weg. Unprätentiös führte er Albert Dohmen und das Orchester durch das Riesenwerk: die Posaunenfraktion im Höchsteinsatz, mächtig das Schlagzeug. Nach dem kurzen Ritt der Walküren gab es bereits Zwischenbeifall und Jauchzen von der Saalempore. Allein Dohmen agierte etwas zu verhalten, ging manchmal im Spiel des Orchesters unter. Nach dem langen Schlussbeifall war klar: Das darf nur das Vorspiel gewesen sein.

Wolfgang Amadeus Mozart:
Sinfonie g-Moll KV 183

Richard Strauss:
Konzert für Horn und Orchester Es-Dur op. 11
Don Juan. Tondichtung (nach Niklaus Lenau) für großes Orchester op. 20

Richard Wagner:
Auszüge aus dem Musikdrama „Die Walküre“

Gewandhausorchester, Dirigent: Lothar Zagrosek

Marie Luise Neunecker, Horn
Albert Dohmen, Bariton

8. November 2002, Gewandhaus, Großer Saal

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.