Ein Traditionalist mit Visionen

Ein Konzert zu Ehren des 25. Todestages von Johannes Weyrauch

„Johannes Weyrauch – wer ist das?“
Die in dieser Frage ausgedrückte Ratlosigkeit ist eigentlich eine verständliche Reaktion, wird doch nur äußerst selten einmal Musik des vor nunmehr 25 Jahren verstorbenen Komponisten aufgeführt. Am heutigen Buß- und Bettag fand im Kammermusiksaal der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ eine überaus gelungene Matinée statt, welche diese Ratlosigkeit ein Stück weit beseitigte. Biographische Hintergründe erhellte der Leipziger Komponist Siegfried Thiele in einem kurzen Porträt, das bewusst persönlich gehalten war und das plastisch den Lebensweg und die künstlerischen Positionen des Leipziger Kantors, Komponisten und Lehrers Johannes Weyrauch schilderte. Über die Musik konnten und sollten die Gäste sich selbst ein Bild machen. Zu diesem Zweck wurde eine ansprechende Auswahl aus Weyrauchs kompositorischem Schaffen zu Gehör gebracht.

Neben zwei Liederzyklen nach Morgenstern-Gedichten erklangen vier kurze Klavierstücke, eine Passionssonate für Viola und Klavier sowie das Streichquartett III. Keines dieser Werke bedient sich avantgardistischer Mittel, auch wird der Bereich der Tonalität nur selten verlassen. Johannes Weyrauch betrat in dieser Richtung kein Neuland, ihm ist es nie um oberflächliche Effekte oder kurzlebige Moden gegangen. Immer am Vorbild der Singstimme orientiert, besitzen die hier präsentierten Kompositionen ein hohes Maß an Expressivität und einen stark persönlichen Zug. Das verwundert auch nicht bei einem Komponisten, dem Musik immer Ausdruck eigener Erfahrungen und Einsichten war.

Weyrauchs Musiksprache wirkt in einigen Werken recht konventionell, beispielsweise in der Passionssonate über „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen“, selten jedoch fehlt es wirklich an kompositorischer Substanz. Die heute oft belächelte Einfachheit vieler Werke war im übrigen ein wesentliches Anliegen Weyrauchs. Aus der sog. „Singbewegung“ herkommend, waren ihm musizierende Laien stets ernstzunehmende Partner. Viele von Weyrauchs Kompositionen sind für Laienmusiker geschrieben und beweisen die Möglichkeit eines Balanceakts zwischen technischen Zugeständnissen und musikalischem Anspruch. Es wäre zu wünschen, dass weniger Laienchöre an Bach und Brahms scheitern und mehr von ihnen sich Weyrauchs Vokalmusik widmen würden, die viel eher einer realistischen Einschätzung des technisch Machbaren entspricht und trotzdem ihre Wirkung nicht verfehlt.

Es ist schön, dass die Hochschule, an der Weyrauch so lange gewirkt hatte, der ehrenvollen Pflicht nachgekommen ist, ihres ehemaligen Schülers und Lehrers Johannes Weyrauch zu gedenken. Noch erfreulicher ist, mit welchem persönlichen Engagement aller Mitwirkenden dieses geschah. Es bleibt zu hoffen, dass die Frage „Johannes Weyrauch – wer ist das?“ in Zukunft etwas seltener gestellt werden muss.

Konzert zu Ehren des 25. Todestages von Johannes Weyrauch

Vivian Hanner, Mezzosopran
Christiane Pfundt; Dietrich Hagel, Violine
Immo Schaar, Viola
Susanne Raßbach, Violoncello
Reinhard Pfundt; Siegfried Thiele, Klavier

20. November 2002, Hochschule für Musik und Theater, Kammermusiksaal

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.