Viva Verdi!

Wie Leipzig zur nördlichsten Stadt Italiens wird: Die große Verdi-Gala im Gewandhaus

Verdi ist überall: Ob in Werbespots oder Radiojingles, auf Opernbühnen oder in Freilichttheatern, ob Pavarotti oder die Schülerbigband, es gibt kaum einen musikalischen Bereich, in dem man sich nicht der weltberühmten Melodien Verdis bedienen würde. Doch sonderbarer Weise besitzen die Kompositionen des Italieners noch immer ihren Zauber, noch immer gerät man beim Hören des tausend Mal Gehörten ins Träumen, und noch immer – 102 Jahre nach seinem Tod – strömen die Leute in Scharen, wenn Verdi auf dem Programm steht.

So ist auch das Gewandhaus an diesem Sonntag gut gefüllt, verspricht der Abend doch Besonderes: Orchester und Gesangssolisten der Großen Oper Polen sind angereist, und mit ihnen ihr musikalischer Leiter Marek Tracz, laut Programm Polens führender Dirigent. Ausgewählte Highlights aus Verdis bekanntesten Opern sollen aufgeführt werden, und wenn Aida, Rigoletto, Der Troubadour, La Traviata und Nabucco locken, erwartet man nicht eben wenig: Große Gefühle, dramatische Szenen und beschwingte Leichtigkeit sollten zu erleben sein, und ohne Verdis Evergreen-Arien geht es an einem solchen Abend natürlich auch nicht.

Fragt sich nur: Wird es gelingen, die hoch gesteckten Erwartungen der Zuhörer zu erfüllen? Lassen sich zwischen Leipziger Eisstürmen italienisches Flair und große Opernkunst entfalten? Reichen die 16 Programmpunkte, um Verdi ins Gewandhaus zu locken?

Zumindest was die letzte Frage angeht, besteht bald kein Zweifel mehr: Tracz, der Dirigent, sieht aus wie der späte Verdi ohne Bart, und schon beim ersten Blick auf die Bühne zeigt sich eine Art beiläufiger Souveränität des Maestros: Nicht er steht auf einem Podest, sondern das Orchester nimmt in den hinteren Reihen einen Stufenunterbau zur Hilfe, um den Dirigierenden zu sehen. Doch auch das Orchester selbst präsentiert sich als Ensemble mit kleinen Eigenheiten: Vor dem Stimmen zu Beginn des Abends wird erst einmal etwa eine Minute lang – wohl zum „Warmwerden“ – wild durcheinander gespielt, ein Geiger entzückt mit Teilen des „Chor der Gefangenen“ in fünffachem Tempo, die Blechbläser geben ohrenbetäubende Glissandi zum Besten. Dann jedoch kehrt Ordnung ein, das Programm startet mit der Nabucco-Ouvertüre. Mit nahezu huldvollen Handbewegungen gibt Tracz die Einsätze, zwischendurch blättert er scheinbar gedankenverloren in der Partitur und überlässt das Orchester der eigenen Verantwortung. Mit einer gewissen, fast italienisch zu nennenden Nonchalance agieren die Musizierenden: Ein Bratscher streckt während des gesamten Abends die Beine weit von sich, die Cellisten schmunzeln plötzlich, nachdem sie sich etwas zugeflüstert haben… und doch, es lassen sich keine spielerischen Nachlässigkeiten erkennen. Vielmehr hat man den Eindruck, dass das Orchester und auch die Sänger – mit der Verdi-Gala schon seit 2001 auf Tour – sich eine Routine angeeignet haben, die sich nur positiv auf die Musik auswirkt. Verdis Kompositionen werden mit einer engagierten Selbstverständlichkeit dargeboten, die keinen Zweifel am Können der Musiker aufkommen lässt.

Auch die 6 Gesangssolisten – besonders hervorzuheben sind die Sopranistin Jolanta Zmurko und der Tenor Leszek Swidzinski – brillieren mit ausgezeichneten Leistungen selbst in schwierigen Partien. So meistert Zmurko die Koloraturen der La Traviata – Arie „E strano“ so einwandfrei, dass sie diese unter tosendem Applaus gleich noch einmal zum Besten gibt. Swidzinski hat das Vergnügen, mit dem aus der Werbung bekannten – „SchokoCrossi“-Song – eigentlich „La donna e mobile“ aus Rigoletto – aufzutreten und ein begeistert-erkennendes Lächeln in die Gesichter der Zuhörer zu zaubern.

Nicht zuletzt den amüsanten schauspielerischen Einlagen der Singenden und des Dirigenten ist es zu verdanken, dass sie die Herzen der Zuschauer im Sturm für sich einnehmen: Stellt der Chor für eine Szene aus Der Troubadour Feiernde dar, schreitet der Dirigent herbei und deutet mit dem Dirigierstab auf eine verrutschte Blume im Haar einer Dame, deckt später Spielkarten auf und erwehrt sich erfolgreich den Annäherungsversuchen einer Tänzerin, die ihn vom Notenpult zu sich ziehen will. Lustiges wechselt sich ab mit Dramatischem, Sologesänge folgen auf rein Instrumentales und Chorpartien, sehr Bekanntes (zum Beispiel „Va pensiero“ aus Nabucco) schließt sich an seltener Gehörtes an. Den furiosen Abschluss bildet „Brindisi“ aus La Traviata: Orchester, Chor und die Solisten stehen gemeinsam auf der Bühne, holen die letzten Kraftreserven aus sich heraus und setzen somit das q.e.d. unter den Beweis ihrer exzellenten Fähigkeiten. So mancher im Saal hat wohl Tränen in den Augen bei dieser Musik, die in ihrer Großartigkeit ihresgleichen sucht.

Als der letzte Ton verklungen und eine kurze, andächtige Pause verstrichen ist, kommt, was kommen musste: Das Publikum bedankt sich mit minutenlangen standing ovations bei den polnischen Musikern, die Italien für zwei Stunden ins Gewandhaus gebracht haben und nun als Zugabe sogar noch mit „Guten Abend, gut` Nacht“ aufwarten, wobei Marek Tracz sich dem Saal zuwendet und zum Mitsingen auffordert. Gemeinsam mit den Stars der Bühne schließen die Leipziger einen Abend der besonderen Art ab, und wenn guter Gesang wirklich den Staub vom Herzen wischt, brauchen sich die Verdi-Fans in nächster Zeit sicherlich keine Sorgen mehr ums Staubwischen zu machen.

Große Verdi-Gala, veranstaltet von: Argo Konzerte
Wie Leipzig zur nördlichsten Stadt Italiens wurde

05.01.2003, Gewandhaus, Großer Saal

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