Thank you for the music!

Das Beatles- und ABBA-Musical im Gewandhaus

Was braucht eine Story, um gut zu sein: Blonde Frauen? Interessante Männer? Affären blonder Frauen mit interessanten Männern, anschließend Verwirrungen, Tränen, Entwirrungen und ein Happy End? Wäre das so, ließe sich die Handlung des Hit-Musicals Mamma Mia sicher als eine der weltbesten Stories bezeichnen. Ist es nicht der Fall, macht das auch nichts, denn: Es geht nicht um die Geschichte, die erzählt wird, sondern vielmehr um die Erzählenden und vor allem um die Art des Erzählens. Im Klartext: 27 ABBA– und Beatles-Songs wollen in 90 Minuten Musical untergebracht werden, und da ist es klar, dass eher „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“- als „Faust“-Elemente die Rahmenhandlung – im Programm Fun-Story genannt ? ausmachen. Das Gewandhauspublikum wird an diesem Abend Beobachter amüsanter und unterhaltsamer Vorgänge.

Der 20jährigen Michelle, einer kessen Blondine, platzt der Kragen: Ihre attraktive Mutter Mia (liebevoll Mamma Mia genannt), in vergangenen Zeiten umwittert von Flowerpower- und Gruppensexgerüchten, lebt – unverständlich für die Tochter – schon seit Jahren enthaltsam, was Männerbekanntschaften angeht. Von ihrer Tante erfährt Michelle dann, dass Mia einst, in einem Sommer der Hippiezeit, verliebt war, jedoch verlassen wurde und sich mit zwei kurzen Affären darüber hinweggetröstet hatte. Seitdem will sie von Männern nichts mehr wissen. Listiger Plan Michelles, den sie auch prompt in die Tat umsetzt: Die drei Männer von damals sollen wieder her, und zwar zum bevorstehenden Inselfest – Ort der Handlung ist eine sonnige Insel; wohl in erster Linie, um möglichst glaubwürdig möglichst leicht bekleidete Mädchen umhertanzen zu lassen. Und schon bald sind sie da, die Verflossenen.

Da ist zunächst Andrew, ein abgehalfterter Gigolo im Leopardendress; dann John, ein Trottel mit Flaschenbodenbrille und Fotos von Haus, Auto und Sekretärin; und schließlich Mac, damals Mias Angebeteter, heute ein blonder Beachboy mit Hang zu abgedroschener Romantik („Schau, wie schön! Der Mond ist so… ähm, rund“). Nachdem alle vergeblich versucht haben, ihre Herzensdame zurückzugewinnen, zeichnet sich eine Wende ab: Alte Gefühle bemächtigen sich Mias, und sie beginnt sich erneut in Mac zu verlieben, der trotz seiner anfänglichen Oberflächlichkeit ein guter Kerl zu sein scheint und damals aufgrund eines Missverständnisses die Insel verlassen hatte, obwohl er Mia noch immer liebte. Nach einigem Zögern und Zagen finden die beiden dann aber doch – nicht zuletzt dank Michelles Hilfe – wieder zusammen, während sich Andrew und John sich auf einem von ABBA– und Beatles-Doubles nur so wimmelnden Inselfest mit Mias Freundinnen trösten.

So weit, so mittelmäßig. Als Theaterstück wäre dieses Midlife-Gebalze wohl nicht für jeden zu ertragen, doch wie gesagt: Die Handlung ist nur Mittel zum Zweck, und sie erfüllt den Zweck perfekt: Lieder wie Dancing Queen oder Gimme, Gimme, Gimme bedürfen keiner Shakespeare-Dramaturgie, und an der Reaktion der Zuschauer zeigt sich, dass bei Mamma Mia vor allem eines im Vordergrund steht: Spaß! Als in einer Strandszene nur mit Handtüchern verhüllte Tänzerinnen agieren, verlangt ein Herr im Publikum zur allgemeinen Erheiterung „Zugabe!“, und oft wird bei den Gesangseinlagen selig-beschwingt mitgeklatscht. Dabei sind bei der Auswahl der Songs allerdings auch keine Risiken eingegangen worden: Das Repertoire ist allgemein bekannt, stammt zu fast gleichen Teilen von den zwei größten Popbands aller Zeiten und setzt sich ausschließlich aus Megahits ihrer Komponisten zusammen – der uneingeschränkten Begeisterung der Hörer konnte man sich sicher sein.

Trotz der definitiv gekonnten musikalischen und schauspielerischen Darbietung stört jedoch eins: Sowohl die ABBA– als auch die Beatles-Songs werden – neben dem Gesangspart – mit Hilfe einer achtköpfigen Live-Band und Tonbandklängen zu Gehör gebracht, was einen 70er-Jahre-Disco-Swing-Sound ergibt. Für ABBA gibt es nichts besseres, aber den Liedern der Fab Four aus Liverpool wird das nicht gerecht. Niemand würde guten Gewissens Porsche-Felgen an eine Corvette schrauben, und niemand sollte den rauen Charme der puristischen Lennon-/McCartney-Stimmen durch schillernde Vibratos und chansonartige Variationen (aus dem eher verzweifelten Help wird eine nachdenklich augenzwinkernde Endlosmelodie) so verändern, dass der ihnen spezifische Beatles-Elan in Nightfever-Dimensionen umschlägt.

Die Idee, 60er und 70er in einem Musical zu vereinen, ist zweifelsfrei großartig, aber gerade dann sollte versucht werden, eine Abgrenzung der Stile vorzunehmen, was zudem der Vielfalt des Programms zugute käme und nicht einzig die Unterscheidung zwischen Ballade und Tanznummer zuließe. Nichtsdestotrotz: Regisseur Christian Götz und besonders Choreografin Birgit Schmidt haben ganze Arbeit geleistet, was die Bühnenshow angeht – die Tänze ungewöhnlich ideenreich mit spaßigen Einlagen, die Akteure sicher und überzeugend, und die Show durchaus gelungen, wenn man nicht gerade ein anpassungsunwilliger Beatles-Fan ist.

In diesem Sinne: Thank you for the music!

Ein Beatles- und ABBA-Musical im Gewandhaus

Veranstalter: Argo Konzerte
A hard day`s night with Mamma Mia

07.01.2003 Gewandhaus, Großer Saal

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