Der Konzertsaal als Kirchenraum

Venezianische Doppelchörigkeit mit Vokalwerken von Antonio Vivaldi im MDR Chorkonzert

Antonio Vivaldis Chorwerk wird selten aufgeführt. Angesichts dessen ist es Howard Arman bereits als Verdienst anzurechnen, dass er sich im dritten Chorkonzert des MDR einmal dieser Musik angenommen hat. Damit aber nicht genug – Arman stellte Vivaldis Kompositionen in ihren ursprünglichen Kontext, indem er dem Konzert die äußere Form eines Vespergottesdienstes verlieh: Er rahmte die zumeist doppelchörigen Kompositionen Vivaldis durch die der Liturgie entsprechenden Versikel und Antiphonen ein und vermittelte auf diese Weise einen interessanten Einblick in die barocke Aufführungspraxis. (Dass das Konzert im Großen Saal des Gewandhauses, also an einem wenig authentischen Ort stattfand, sei nur am Rande bemerkt.)

Arman nahm seine Bemühungen um Authentizität dermaßen ernst, dass er aus musikalischen Gründen die übliche Konzertpause strich und damit alle Anwesenden vor eine nicht zu unterschätzende Geduldsprobe stellte; denn so gelungen und interessant die Grundkonzeption des Abends auch war, so ermüdend wirkte die Musik nach nahezu zwei Stunden ohne nennenswerte Überraschungen. Zwar wurde ausdauerndes Zuhören auch gegen Ende des Abends immer wieder mit kleinen musikalischen Bonbons belohnt, aber anstrengend blieb das Konzert dennoch. Eine Pause wäre wohl doch angemessen gewesen, liturgische Geschlossenheit hin oder her – zumal Arman vor Konzertbeginn ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass es ihm nicht darum gehe, aus dem Konzert einen Gottesdienst zu machen.

Die räumlich getrennt platzierten Fraktionen des MDR-Chores boten Gesangskultur auf höchstem Niveau und beeindruckten zum wiederholten Male durch rhythmische Präzision und klangliche Homogenität. Howard Arman dirigierte sichtlich engagiert und behielt immer die Kontrolle über die stellenweise recht komplexen musikalischen Strukturen. Das MDR-Sinfonieorchester hatte einen eher schlechten Tag, agierte recht unflexibel und ließ deutliche intonatorische Schwächen erkennen.

Über die Solisten des Abends lässt sich fast nur Erfreuliches sagen. Joanne Lunn erwies sich nach anfänglichen Problemen als ebenso klangschöner wie stilistisch versierter Sopran, auch Jennie Such (Sopran II) überzeugte auf ganzer Linie. Altistin Catherine Denley konnte nicht begeistern, weder was die Textverständlichkeit, noch was die stimmlichen Ressourcen angeht. Mit Philip Salmon (Tenor) und Raimund Nolte (Bass) standen den Damen würdige Partner gegenüber. Allen Solisten war die Fähigkeit gemeinsam, sich perfekt ins Ensemble einzufügen, wodurch eine der Grundbedingungen für eine Aufführung dieser Art von Musik vollauf erfüllt war.

Trotz einiger Längen und des Trends Howard Armans, die Nummern hektisch ineinander fließen zu lassen, damit es nicht noch länger dauerte, muss das Konzert als gelungen bezeichnet werden, bot es doch einen unbekannten Blick auf einen vermeintlich bekannten Komponisten. Ein reizvolles Experiment, man kann es nicht anders sagen.

Venezianische Doppelchörigkeit – 3. Chorkonzert des MDR

Vokalwerke von Antonio Vivaldi

MDR Rundfunkchor
MDR Sinfonieorchester

Joanne Lunn, Sopran I
Jennie Such, Sopran II
Catherine Denley, Alt
Philip Salmon, Tenor
Raimund Nolte, Bass

Dirigent: Howard Arman

12. Januar 2003, Gewandhaus, Großer Saal


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