Sinfonischer Funkenflug

Ein weiterer Höhepunkt im Beethoven-Zyklus des Gewandhausorchesters: Die Sinfonien 6 und 7

Herbert Blomstedts zyklische Aufführung sämtlicher Sinfonien Beethovens in dieser Saison nähert sich ihrem Ende. Mit der Sechsten und der Siebten standen heute zwei besonders beliebte Werke auf dem Programm. Der Leipzig-Almanach hat das Projekt bis hierhin regelmäßig verfolgt (siehe die Rezensionen) und wird nach dem letzten Konzert des Zyklus‘ ein abschließendes Resümee ziehen.

Ein beunruhigendes Grollen erfüllt den Saal, die Atmosphäre ist bis zum Äußersten gespannt. Die Zeit bleibt stehen, es herrscht die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Da passiert es: Unter gewaltigem Donnergrollen und zuckenden Blitzen entlädt sich die angestaute Energie in einem Inferno von elementarer Kraft. Was man unter freiem Himmel nur äußerst ungern erleben würde, lässt man sich im Konzertsaal um so mehr gefallen. Vor allem dann, wenn das Gewandhausorchester unter Herbert Blomstedt die Gewitterszene aus Beethovens „Pastorale“ derart impulsiv und gnadenlos zupackend angeht, wie im heutigen Konzert.

Dass die Aufführung ein grandioser Erfolg werden würde, war aber schon weit vorher abzusehen. Bereits der erste Satz begeisterte als perfekte Synthese von formaler Ausgewogenheit und energischem Zugriff. So blieb das klassische Ebenmaß stets gewahrt, ohne dass das Ganze blutleer geklungen hätte. Dieser Beethoven atmete, wurde genährt von einer nie verlöschenden Glut, die je nach Situation entweder still vor sich hin glomm oder zu imposantem Feuer angefacht wurde. Besonderes Lob verdienen, wie in allen Sätzen, die Holzbläser, denen der Komponist in dieser Sinfonie wunderbare Soli anbietet. Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott nahmen das Angebot dankend an und bezauberten auf ganzer Linie. Während noch der Jubel des Publikums tobte, fragt man sich, ob das hohe Niveau dieser Aufführung auch nach der Pause gehalten werden könnte.

Es konnte. Ähnlich explosiv sind der erste Satz wie auch das Finale der Siebten selten zu hören. Blomstedt entlockte seinem Orchester die letzten Energiereserven und erzeugte so im letzten Satz einen wahren Taumel. Einen starken Kontrast zum eher freundlichen und beschwingten ersten bildete der zweite Satz, dessen großartige Steigerung vom verhangen-schwermütigen Beginn hin zum Ausbruch leidvollen Schmerzes mit unerbittlicher Strenge zelebriert wurde. Hier hatten die Streicher ihre große Stunde. Kaum denkbar, dass man irgendwo ein ausgewogeneres, feiner abgestuftes Gruppenspiel geboten bekommt als an diesem Abend in Leipzig. Der nicht enden wollende Beifall am Schluss ließ leinen Zweifel daran aufkommen, dass der vierte Teil des Beethoven-Zyklus‘ ein besonderes Highlight war, das neugierig macht auf den letzten Teil des Projekts.

Ludwig van Beethoven:
Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 „Pastorale“
Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92

Gewandhausorchester
Dirigent: Herbert Blomstedt

17. Januar 2003, Gewandhaus, Großer Saal

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