Tanzende Indianer

Die Veranstaltungsreihe „Das Opfer in mythischer Dichtung und Gesellschaft“ wurde mit einem Gespräch zwischen Ambros, Deimel und Tetzner eröffnet

Ein Opferstock an der Wand, etwa sechzig Zuhörer, drei Herren auf dem Podium. Wer wolle, könne gegenopfern, damit nicht das Opfer selbst geopfert werde, scherzt Autor Reiner Tetzner. Wurden seit 8 Jahren Projekte des Arbeitskreises für Vergleichende Mythologie e.V. durch das Sächsische Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert, so ist die Förderung nach telefonischer Mitteilung des Regierungspräsidiums in diesem Jahr gestrichen.

Nach ein paar Ausführungen Tetzners zum Opferbegriff, ob nun kultisch oder metaphorisch gebraucht, erzählt Peter Ambros über das Opfer im Judentum. Das Judentum, wie es seit zweitausend Jahren praktiziert werde, sei „ein Sammelsurium von Sitten“. Während es im alten Israel zu verschiedenartigen Opfern gekommen sei (Erstlingsopfer, Blut, Fett, Fleisch), um mit höheren Wesen zu kommunizieren und ihre Gunst zu erlangen, sei heute das Opfer nur noch residuell erhalten. Mit der Zerstörung des Tempels von Jerusalem sei auch der einzige Ort nicht mehr da, wo geopfert werden durfte. Ambros erwähnt alternative Wege zur Kommunikation mit Gott, spricht von der „Institution des 7. Tages in der Woche, der aus dem Judentum dann in die Welt gekommen ist“ und von der Synagoge mit Gebet. Das Gebet, sagt er, sei damit lediglich eine Ersatzhandlung, ein Versuch, Gott anzusprechen aus der Unmöglichkeit heraus, zu opfern.

Claus Deimel bringt anschließend sehr lebendig ein Stück Erde näher: gelegen im Norden Mexikos, bewohnt mit etwa 60.000, sehr verstreuten Menschen, den Tarahumara-Indianern. Seit mehr als dreißig Jahren, jeweils einen Monat im Jahr, beobachtet der Direktor des Völkerkundemuseums in Leipzig ihre Kultur und Religion: „x mal überformt, ausgestorben, wieder auferstanden, über Jahrhunderte verschüttet, sehr differenziert, aber sehr resistent erhalten“. Alle 50 Kilometer ändere sich die Mythologie, die Sprache. Die „Arbeit für Gott“ zeige sich sehr deutlich in rituellen Tänzen. Für einen fleißigen indianischen Ritualisten habe er allein 2.000 Tanzstunden im Jahr ausgerechnet, und er sei jedesmal innerlich gerührt, daß es so etwas gebe: Keine Inszenierung für Besucher. Keinerlei missionarisches Interesse. Unglaubliche Bescheidenheit und Zurückhaltung. Mais, Rauch, Fleisch, Pflanzenopfer. Das sei eine völlig in sich ruhende, nicht missionarisch tätige Lebensform. Und viele eigene Dinge seien da, so etwa die Eigenheit, daß es nicht üblich sei, sich zu bedanken für eine Bewirtung. „Man dankt nicht im Alltag, man bedankt sich nur bei Gott.“ Deimels angenehme Rede endet mit den Worten, daß wir es nach wie vor mit wenig erforschten Kulturen zu tun hätten.

Die Zuhörer erweisen sich als eifrige Diskussionspartner. Da wird über den Grund von Opfern nachgedacht, über Grundfiguren, auf denen Religion schlechthin basiert, über die Konstruktion des ?lieben Gottes?, über böse Götter, die befriedet werden müssen, über Eigennutz (?Ich gebe, damit du mir gibst?), über den Opferbegriff im Krieg und die ?Bastardisierung eines alten Wortes durch moderne Nationen?, und teilweise wird es hitzig und widersprüchlich, sehr viel Ungelöstheit ist da, und natürlich ist es dadurch interessant. Ein Zeitopfer, nein, das waren die zwei Stunden Gespräch gewiß nicht.

Eröffnung der Veranstaltungsreihe „Das Opfer in mythischer Dichtung und Gesellschaft“
Gespräch mit Peter Ambros (Judaist), Dr. Claus Deimel (Direktor des Völkerkundemuseums Leipzig) und Dr. Reiner Tetzner (Autor)
22.01.2003, Haus des Buches

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