Ein Musterbeispiel orchestraler Klangkultur

Das vierte MDR-Matineekonzert mit dem Sinfonieorchester präsentiert Werke von Brahms, Respighi und Strawinsky

Brahms‘ zweites Klavierkonzert ist technisch wie musikalisch ein harter Brocken, selbst für einen hervorragenden Pianisten wie Bruno Leonardo Gelber. Doch auch wenn es im sonntäglichen Matinéekonzert des MDR die eine oder andere Akkordfärbung und rhythmische Unsauberkeit zu hören gibt: Gelber präsentiert dem zahlreich erschienenen Publikum einen Brahms, wie man ihn nur selten zu Gehör bekommt. Eher auf große Emotionen denn auf klare Linie aus, gestaltet der argentinische Pianist eine betörende Rhapsodie sehr subjektiver Prägung. Für manche Geschmäcker mag Gelbers Rubato vielleicht bereits das Maß des Vertretbaren überschreiten, allen anderen bietet sich eine gute Dreiviertelstunde höchster Klavierkultur. Vor allem die leisen Passagen haucht Gelber mit einer Delikatesse in die Tasten, die Staunen macht.

Das Orchester unter seinem überaus aufmerksamen Chefdirigenten Fabio Luisi sorgt dafür, dass Gelbers rhythmische Freiheiten stets auf einem sicheren Fundament stehen. Besonders erfreulich ist die gute klangliche Balance zwischen Klavier und Orchester, welche bei einem Konzert sinfonischen Zuschnitts wie diesem unabdingbar ist, die aber selten so zufriedenstellend realisiert wird. Das Orchester lässt kaum Wünsche offen. Bereits das eröffnende Hornmotiv gelingt bestens, und jenes berühmte Violoncello-Solo, das dem Klavier im dritten Satz fast die Schau stiehlt, klingt innig, ohne sentimental zu wirken. Großartig!

Die sinfonischen Dichtungen Ottorino Respighis gehören nicht unbedingt zum üblichen Repertoire deutscher Orchester. Wenn sie aber einmal gespielt werden, wie in diesem Fall die „Brunnen von Rom“, erfreuen sie sich größter Beliebtheit. Kein Wunder, wickeln sie doch mit ihrer feinsinnigen Orchestrierung und ihren interessanten poetischen Assoziationen selbst eingefleischte „Strukturhörer“ um den Finger, die jegliche Klangmagie für eine Art Blendwerk halten, das über fehlende Komplexität hinwegtäusche. Aber dieser Musik kann man wirklich nicht widerstehen; zu abwechslungsreich und originell im Großen wie in den Details sind diese Kompositionen, die man wohl am ehesten einer Art musikalischem Impressionismus zuordnen kann. Was die Aufführung angeht, ist Lob über Lob das einzig Angebrachte. Luisi kostet Respighis orchestrales Feuerwerk genüsslich aus, er packt zu, wo es gilt, den auftrumpfenden Effekten feste Kontur zu verleihen, und gibt den lyrischen Passagen Raum zur Entfaltung. Die fabelhaft spielenden Orchestersolisten bringen die Partitur ins Blühen, dass es eine Freude ist. Der mit leisen Glockenschlägen ins Nichts verklingende Schluss wird zum Musterbeispiel perfekter Orchesterkultur.

Den krönenden Abschluss des bemerkenswerten Konzerts bildet Strawinskys beliebte Ballettsuite „Der Feuervogel“. Auch hier bewegt sich die Aufführung auf allerhöchstem Niveau. Fabio Luisi ist stets konzentriert, lässt nie die Zügel schleifen. Beim“Infernalischen Tanz“ des Königs Kastschei legt er dann aber jede Zurückhaltung ab. Luisis große, weit ausladende Gesten gehen bis ans Limit des Machbaren. Wie vom Höllenfürsten selbst angeheizt, wühlt er in den Eingeweiden des Orchesters, holt alles an Energie aus ihm heraus. Luisis Einsatz ist ein totaler, hundertprozentiger, und das Ergebnis fällt entsprechend aus. So bekommt man diese Musik selten zu hören. Das Finale der Suite ist schlicht ein einziger Rausch.

4. MDR-Matinéekonzert

Johannes Brahms: 2. Klavierkonzert B-Dur op. 83
Ottorino Respighi: Fontane di Roma, Sinfonische Dichtung
Igor Strawinsky: Der Feuervogel (Ballettsuite von 1945)

Bruno Leonardo Gelber, Klavier
MDR Sinfonieorchester
Dirigent: Fabio Luisi

23. Februar 2003, Gewandhaus, Großer Saal

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