Die Jahrhundertwende im Konzert

Ingo Metzmacher und Ewa Kupiec mit Werken von Weill,Stravinsky und Mahler im Grossen Concert

Eine Art Jahrhundertwende-Programm hatte Ingo Metzmacher als Gastdirigent des Gewandhausorchesters mitgebracht. Mahlers in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts komponierte 1. Sinfonie sowie zwei in den 20er Jahren entstandene Werke von Kurt Weill und Igor Stravinsky. Und der stilistische Unterschied, der innerhalb dieser vierzig Jahre entstand, ist schon frappierend.

Weills „Kleine Dreigroschenmusik für Blasorchester“ ist eine Suite aus Stücken der „Dreigroschenoper“. Und auch wenn die Musik so ganz ohne Text auskommen muss, lässt sie sich wunderbar genießen. Metzmacher ging sie straff, nüchtern und kräftig an, bisweilen ein wenig swingend, als sei eine Bigband am Werke. Aber dennoch wird’s an keiner Stelle zu puristisch, auch die Melodien kommen zu ihrem Recht, wobei jede zu große Expressivität und Kantabilität sofort durch dissonante Reibungen und mehrstimmige Verschachtelungen relativiert wird. Modernität und Unterhaltsamkeit können eigentlich nicht besser Hand in Hand gehen als in dieser Musik und in dieser Umsetzung.

Das gilt erst recht für Stravinskys Klavierkonzert. Es gibt sich durch und durch klassizistisch, beginnt im Stile einer französischen Ouvertüre und imitiert durchweg spätbarocke Spielweisen. Aus den schwerfälligen Akkorden, die die Bläser mit Unterstützung einiger Kontrabässe produzieren, klingt der dunkle Ton einer alten Orgel hindurch. Zugleich aber pulsieren in den schnellen Teilen die Rhythmen, werden synkopisch ausgekostet, dass jeder Jazzmusiker neidisch werden könnte. Die zarte Pianistin Ewa Kupiec, die durch ihre wunderschönen und poetischen Chopininterpretationen auch im Gewandhaus schon begeisterte, konnte nun ganz andere Fähigkeiten offenbaren. Mühelos ließ sie mit schrillen Toccataläufen, dem trockenen Rattern monotoner Spielfiguren und dem heiseren Husten scharfer Akkorde die Hörer erstaunen. Und verstand es, ganz im Sinne Stravinskys, in die pastellenen Verzierungen des langsamen Satzes einige impressionistische Elemente einzuschmuggeln.

Metzmacher begleitete mit dem Orchester geradlinig und unauffällig. Bei dem Bemühen, jede Expressivität zu vermeiden, fehlte an langsamen Stellen (von denen es nicht viele gibt) mitunter ein wenig die Spannung. Doch gerade im Schluss-Satz bricht dann die pure Spiellust hervor, die sich an der ironischen Monotonie der Virtuosität abarbeitet und dem Hörer höchstes Vergnügen bereitet.

Dass Mahlers in der Nähe des Leipziger Rosentals zuende komponierte erste Sinfonie am Ende des Programms steht, hat ohne Zweifel dramaturgische Gründe, aber in dem Fall konnte man auch ästhetische entdecken. Denn Metzmacher interpretierte das spätromantische und an vielen Stellen liedhaft durchsetzte Werk streckenweise höchst modern. Schon zu Beginn entsteht ein leiser Klangteppich, der wie das Flirren des Sonnenlichts eine entrückte Atmosphäre schafft und die verdeckten Trompetenklänge und Kuckucksrufe der Holzbläser mit einem Geheimnis umgibt. Aber auch später, wenn das Lied „Ging heut Morgen übers Feld“ hervorleuchtet, bleibt Metzmacher mit dem Orchester verhalten, bedächtig und versucht, das Liedhafte zurückzunehmen, indem er alle Instrumentalgruppen gleichwertig behandelt und keine hervortreten lässt. So werden Flächen wichtiger als Linien, die Entwicklung wird nicht durch Dramatik im herkömmlichen Sinne bestimmt, sondern durch Klangballungen. Und die können bei der extremen finalen Steigerung zu regelrechten Eruptionen führen.

Den zweiten Satz geht Metzmacher zunächst sehr „tümlich“ an. Volkstümlich, deutschtümlich. Charmant tänzerisch, wie man sich einen leicht überfeinerten Ländler vorstellen mag. Aber auch hier entstehen im weiteren Verlauf Reibungen durch das Aufeinanderprallen verschiedener Stimmen, was der Dirigent auch konsequent bis in die Coda hinein ausreizt. Ähnlich scheint das Konzept für den dritten Satz. Sehr verhalten der Beginn, das Schaurige entsteht aus Langsamkeit und Stille. Aus dem Lied „Bruder Jacob“ wird ein Trauermarsch. Im extremen Kontrast dazu: die satirische „Blaskapellen-Episode“ und die schwärmerisch ausgekosteten Zwischenteile. Im Finale überlagern sich die verschiedenen Elemente, was Metzmacher kompromisslos, als handle es sich um Charles Ives, herausarbeitet.

Unglaublich spannend ist dann der Beginn des Finales. Schrill, furios, atemberaubend schnell und unmenschlich laut – wie ein Alptraum. In diesen Sturm hinein tönen immer wieder die präzisen Einsätze der Bläser, wie Lichtsignale eines Leuchtturms bei hoher See. Und was Metzmacher dynamisch macht, ist wieder überaus modern: Über dem Orchester entstehen riesige Klangwellen, die anschwellen und wieder verebben, ohne dass einzelne Stimmen dominieren. Und auch bei den stilleren Repliken auf den ersten Satz entsteht ein Meer flackernder Töne.

Doch andererseits bleiben dadurch keine Steigerungsmöglichkeiten für das Finale. Und an Stelle des gewaltigen Sturms, der über alles hinwegfegen könnte, um keine einzelnen Details zurückzulassen, tritt eine relativ konventionelle Coda, die sich zwar dynamisch und temporeich in immer höhere und schnellere Dimensionen aufschwingt, dennoch aber unterm Diktat der etwas penetranten Bläsermotive bleibt.

Kurt Weill: Kleine Dreigroschenmusik für Blasorchester
Igor Stravinsky: Konzert für Klavier und Blasinstrumente
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 1 D-Dur

Gewandhausorchester
Solistin: Ewa Kupiec
Dirigent: Ingo Metzmacher

27.03.2003, Gewandhaus, Großer Saal

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