Triumph des genialischen Künstlertums

Eine konzertante Aufführung mit dem MDR Sinfonieorchester und Hector Berlioz „Benvenuto Cellini” im Gewandhaus

Bereits in der Ouvertüre werden Luisis Tugenden als Dirigent deutlich. Ein schlanker Klang macht die Partitur gut durchhörbar, ein Geflecht von Linien offenbart sich dem Ohr, die Harmonien ballen sich nicht. In einem wolkenlosen klaren Regen von Tönen sitzt das Auditorium, der Geist bleibt wach, selbst wenn die Emotionen – und das nicht zu knapp – erregt werden.

Und diese Wachheit ist für die Hörer auch nötig; denn Luisi ist mit seinem Orchester das große Wagnis eingegangen, Belioz‘ sperrige Oper „Benvenuto Cellini“ in konzertanter Form auf die Bühne zu bringen. Die Autobiographie des Renaissance-Bildhauers, speziell die Geschichte um die Schöpfung seiner berühmten Perseus-Statue in Florenz, bildet die Grundlage für das Sujet, das Berlioz zusammen mit den Librettisten zu einem Triumphzug des freien Künstlertums über alle irdischen Normen und Belange verdichtete. Benvenuto Cellini, unbändig in seinem Willen, maßlos in seinem Verlangen und unaufhaltsam in seinem Schöpferdrang, schreckt vor Entführung, Mord und Erpressung nicht zurück, um seine Ziele in der Liebe und der Kunst zu erreichen. Und er erreicht sie auch. Gegen seinen Widerpart, den päpstlichen Schatzmeister Balducci, der Cellinis Genialität nicht erkennt und lieber auf einen anderen Künstler setzt, triumphiert der Bildhauer, indem er den Papst, bzw. seinen Abgesandten, den Kardinal, vor die Entscheidung stellt, entweder auf die Perseus-Statue zu verzichten oder ihm für alle Verbrechen Absolution zu erteilen. Und tatsächlich lässt sich die Kirche auf diesen Handel ein, sofern der Auftrag rechtzeitig fertiggestellt werde. Dafür opfert Cellini nun wiederum seine gesamten Kunstwerke, deren edles Metall er, um das Zeitlimit nicht zu überschreiten, für seinen „Perseus“ einschmelzen lässt. So triumphiert er am Ende über alle weltliche und geistliche Macht.

Mit einer solchen Hauptfigur kann sich der normale Opernbesucher freilich schwer identifizieren. In ihrer Zuspitzung haftet der ganzen Geschichte fast etwas Allegorisches an. Sie ist wie ein Sinnbild für das romantisch-genialische Künstlertum mit seiner rigorosen Exzentrizität und Antibürgerlichkeit, Eigenschaften, die Hector Berlioz selbst besaß. Und so ist es bezeichnend für diese Musik, dass sie sich nicht so sehr in der Darstellung der einzelnen Charaktere ergeht, sondern in einem großen Zug die Leidenschaftlichkeit der Kunst überhaupt nachlebt. Andererseits vermag Berlioz als Komponist wie ein Schauspieler verschiedene Rollen einzunehmen und andere Stile zu parodieren. Auf diese Weise entsteht, was scheinbar ein Widerspruch ist, teilweise so etwas wie musikalische Genremalerei. Aber Berlioz identifiziert sich nicht mit seinen Hauptfiguren, sondern entwirft mit kühner Hand musikalische Architekturen, in denen alle einzelnen Partien wie Details an einem Bauwerk erscheinen. Das hat über weite Strecken eine fast orchestrale Behandlung der Singstimmen zur Folge, die oft weniger melodienselig sind, sondern die sich wie Instrumente in den Gesamtklang einordnen und vom schnellen Treiben förmlich hinweggerissen werden. Aber gerade dadurch geraten die einzelnen Szenen weit weniger spektakulär und effektvoll, sind weit weniger genüsslich komponiert als es beispielsweise bei Meyerbeer der Fall ist oder beim Belcanto der italienischen Oper. Dafür ist Berlioz‘ Musik fast immer hintergründig, oft erzählen unheimliche Bewegungen im Orchester mehr, als der Gesang mit seinem Text verrät.

Das Problem einer konzertanten Aufführung liegt nun darin, dass die Erregungen, Übertreibungen und Überspitzungen in der Musik bei den Sängern durch eine szenische Darstellung deutlich forcierter umgesetzt und zusätzlich animiert werden könnten. Im Konzertsaal dagegen entspricht die Situation eher einer Oratorienaufführung, und gerade an diesem Abend war leider bei den Solisten eine Tendenz in diese Richtung zu spüren. Das war denn auch der eigentliche Schwachpunkt der „Inszenierung“, wenn man von einem solchen, bei einer insgesamt doch imposanten Leistung aller Beteiligten, sprechen darf. Denn trotz großer Namen und großer Stimmen blieb gerade bei den wichtigen Partien die Mühe allein schon der technischen Realisierung unüberhörbar. Es fehlte einfach an der Souveränität, die nötig ist, um über die schwierigen sängerischen Aufgaben hinaus die originellen Charaktere plastisch greifbar zu machen. Rossella Ragatzu als Teresa und Keith Lewis als Cellini hatten starke Momente bei dramatischen Aufschwüngen, bei jener durchs Orchester unterfütterten Maßlosigkeit der Melodie. Doch trotz schöner Koloraturen fehlte der Teresa das Lockende, das Glitzern und Funkeln in der Stimme. Und für einen Cellini war deutlich zu wenig an Raserei und Zügellosigkeit in seiner Figur zu spüren. Auf dem dramatischen Höhepunkt, der freilich erst am Ende erreicht wird, war Lewis gar kräftemäßig überfordert. Kasten Mewes als Balducci und Andreas Schmidt als Fieramosca hatten trotz solider Ausführung ihres Parts mal mehr, mal weniger mit dem großen Orchester im Rücken zu kämpfen. Da erfreuten umso mehr die Nebenrollen (vom viel zu betulichen Kardinal Tamás Bátor einmal abgesehen), etwa die schöne Stimme von Bernard Richter (Francesco) oder das komische Talent von Chorsolist Ekkehard Wagner (Wirt).

Was in Repertoireopern routinierter läuft oder durch eine szenische Ausgestaltung auf der Bühne kompensiert werden kann, wird bei einer einmaligen konzertanten Aufführung zum Sand im Getriebe. Das gilt auch für den letzten Feinschliff des Orchesters. Letztendlich blieb es daher dem Chor vorbehalten, mit der ihm eigenen erstaunlichen Virtuosität die vollendete Beweglichkeit von Luisis Dirigat zu erreichen. Dennoch bleibt die Aufführung dieser Oper eine große Tat. Die Kritikpunkte ließen sich durch häufigere Aufführungen aus der Welt schaffen. Scheint es doch auch schade um den großen Aufwand, wenn die kolossale Einstudierung nach wenigen Malen wieder aus dem Programm verschwindet. Ansonsten kann man es nicht hoch genug schätzen, wenn sich der MDR darin treu bleibt, ungewöhnliche und selten gespielte Werke auf lebendige Weise in Erinnerung zu rufen.

Hector Berlioz „Benvenuto Cellini“

Oper in drei Akten (Weimarer Fassung)
Text: Léon de Wailly, Auguste Barbier

Konzertante Aufführung

Chor und Orchester des MDR unter Fabio Luisi
(Choreinstudierung: Howard Arman)

Solisten:
Karsten Mewes, Balducci
Rossella Ragatzu, Teresa
Keith Lewis, Cellini
Andreas Schmidt, Fieramosca
Bernard Richter, Francesco
Hagen Matzeit, Bernardino
Dagmar Peckova, Ascanio
Tamás Bátor, Kardinal

Chorsolisten:
Ekkehard Wagner, Wirt
Matthias Hoffmann, Pompeo
Ekkehard Vogler, ein Offizier

08.04.2003, Gewandhaus, Großer Saal

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