Welt, geh aus, laß Jesum ein!

Bachs Matthäuspassion mit dem Universitätschor unter Leitung Wolfgang Ungers in der Peterskirche Leipzig

Während in der Thomaskirche anno 2003 wieder einmal Bachs Johannes-Passion auf dem Programm steht, widmen sich der Leipziger Universitätschor und sein Leiter Wolfgang Unger einmal mehr der anderen großen Passionsmusik des berühmten Leipziger Thomaskantors, der Matthäus-Passion BWV 244.

Besonders erfreulich ist die große Geschlossenheit der Aufführung, die praktisch wie aus einem Guss wirkt und die zahlreichen Rezitative, Arien und Chöre als großes Ganzes erleben lässt. Was während der gut drei Stunden dauernden Aufführung im Einzelnen geboten wird, überzeugt hingegen in verschiedenem Maß; so stehen Momente von großer Wirkung einigen eher blassen Einzelleistungen gegenüber.

Vor allem die Solisten können zum großen Teil nicht vollständig begeistern. Die bedeutende Ausnahme ist hier der mit Kopf und Herz engagierte Martin Petzold, der zwar in den Evangelienberichten leicht zum Opernhaft-Übertriebenen neigt, was aber wohl vor allem Ausdruck seiner großen inneren Beteiligung ist, welche kaum je einmal nachlässt. Stimmlich kann man sich ohnehin keinen anderen Evangelisten wünschen. Das gilt für die anderen Partien nur sehr bedingt. Andreas Sommerfeld gibt einen farblosen, beinahe unbeteiligten Jesus und weicht nicht einmal in den extremen Situationen des Leidensweges Christi von seiner Einheitsdeklamation ab. Zudem klingt seine Stimme allenfalls in der Mittellage wirklich gut, während die Höhe und die Tiefe Sommerfeld allzu viel Anstrengung kosten. Libussa von Jena und Ulrike Schneider gestalten einige ihrer Soloarien sehr gefühlvoll und stimmlich ansprechend, finden in dem wundervollen Duett „So ist mein Jesus nun gefangen“ aber leider nicht zu einer gemeinsamen Linie. Egbert Junghanns füllt seine verschiedenen Rollen angemessen aus, bleibt jedoch ebenfalls eher unauffällig.

Der Universitätschor entfaltet seine Stärken vor allem in den Chorälen, die sehr homogen und intonationssicher klingen, während es in den Turbae häufig zu rhythmischen Verschiebungen und unausgewogenen Klangbalancen kommt. Durch die eher ungünstige Positionierung der Musiker auf der Empore klingt vieles stark verwaschen, und manchmal verrät nur eine profunde Kenntnis des Werkes oder ein vorsichtiger Blick in den Textdruck, was gerade gesungen wird. Die großen Chöre „Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen!“, „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ und „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ überzeugen da schon weit mehr, wenn auch der Chor II bisweilen zu sehr in den Hintergrund gedrängt scheint.

Den Sängerinnen und Sängern steht mit dem Pauliner Barockensemble ein Orchester zur Seite, dass sich sichtlich um ein originalgetreues Klangbild bemüht, zumindest was die Verwendung von Originalinstrumenten betrifft. Leider durchkreuzt die Spielpraxis der Pauliner bisweilen ihre guten Absichten. So entspricht beispielsweise das Geigensolo in der berühmten Arie „Erbarme dich“ nicht wirklich barocker Musizierpraxis, unabhängig von der Bauweise des Instruments. Die meiste Zeit präsentiert das Ensemble sich als unauffälliger Begleiter, der aber selbst nichts Gewichtiges beizusteuern hat.

Wenn im letzten Chor der Wunsch ausgesprochen wird, die Glieder Jesu mögen sanft im Grabe ruhen, verbietet sich Publikumsapplaus eigentlich von selbst. Dennoch gibt es ihn auch heute, jenen unpassenden Beifall, der sich nur durch eine völlige Abstraktion der Musik von ihrer Aussage erklären lässt. „Welt, geh aus, laß Jesum ein“, heißt es gegen Ende der Passion in einer Arie – leider bildet mit dem Applaus auch heute ein weltlicher Akt den Abschluss der Aufführung.

Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion BWV 244

Libussa von Jena, Sopran
Ulrike Schneider, Alt
Martin Petzold, Tenor (Evangelist, Arien)
Egbert Junghanns, Bass (Pilatus, Arien)
Andreas Sommerfeld, Bass (Christus)

Leipziger Universitätschor
(Soli: Sandra Klein, Susanne Naacke, Atje Schmidt-Glawatz)

Kurrende der Paul-Gerhardt-Kirche Leipzig-Connewitz
Mitglieder der Schola Cantorum Leipzig
Pauliner Barockensemble

Leitung: Wolfgang Unger

15. April 2003, Peterskirche Leipzig

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