Künstliche Volksmusik oder volkstümliche Kunstmusik?

Das MDR-Sinfonieorchester unter Milan Horvat präsentiert das Osterkonzert mit Musik von Gotovac, Dvorak und Smetana

Warum mögen wir den Sinfonischen Kolo von Jakov Gotovac? Die Antwort auf diese Frage scheint zunächst leicht zu fallen, wirken doch die mitreißenden Rhythmen der Komposition, ihre eingängigen Melodien und glanzvollen orchestralen Effekte eigentlich ganz von selbst. Als Niksa Gligo die Frage nach der Beliebtheit des Werks 1998 in einem Aufsatz stellte, ging es aber um Hintergründigeres: Wie ist es eigentlich möglich, einen volkstümlichen Tanz, wie es der Kolo ist, mit den Ansprüchen sinfonischen Komponierens zu verbinden? Handelt es sich bei der Wortkombination Sinfonischer Kolo nicht bereits um einen erheblichen Widerspruch? Es steht jedenfalls fest, dass Gotovac in überaus geschickter Weise das volkstümliche Sujet in eine künstlerische Form „verwandelte“, indem er seine elementaren Merkmale einem umfassenden kompositorischen Verarbeitungsprozess unterzog.

An dieser Stelle muss die Frage, was der Sinfonische Kolo nun tatsächlich oder vor allem ist, nicht abschließend beantwortet werden, um zu verstehen, warum er beim Publikum des diesjährigen MDR-Osterkonzertes einen beträchtlichen Erfolg hatte – überzeugt er doch vor allem durch seine große Frische und einen betörenden Farbenreichtum, nicht zu vergessen natürlich den mitreißenden Kolo-Rhythmus. Milan Horvat stellte das bunte Werk seines kroatischen Landsmanns gleich an den Beginn des Programms und eröffnete mit ihm einen Konzertabend, wie er augenscheinlich so ganz dem Wunsch des Publikums entsprach. Musik von Dvorak und Smetana – darunter die berühmte „Moldau“ – verfehlt ihre Wirkung selten, vor allem dann nicht, wenn sie so nuanciert und klangsinnlich dargeboten wird wie an diesem Abend durch das MDR Sinfonieorchester unter Milan Horvat. Besonders in Smetanas Sinfonischen Dichtungen blühten die Klänge aufs Schönste auf, ohne dass Horvat im orchestralen Farbenrausch die Linien jemals entglitten. Wie aus weiter Ferne wehten da Harfenklänge herüber, um vom ehemaligen Glanz und Ruhm der legendären Prager Festung Vysehrad zu künden. Die Moldau nahm in steter Steigerung ihren Lauf, angefangen bei den quirligen Quellen der Querflöten, bis hin zum majestätischen Dahinströmen an der Mündung. Besonders gut gelang Sarka, jene grausame Geschichte um Eifersucht, Rache und Verrat. Gnadenlos ließ Horvat hier zarte Liebesbande und blutrünstiges Gemetzel aufeinander treffen und gestaltete die Sinfonische Dichtung zum spannungsgeladenen Drama.

Dvoraks Violinkonzert erfordert neben einem enormen technischen Können vor allem Weitblick, was die formale Struktur angeht. Leider besaß die junge Geigerin Alina Pogostkin zwar ersteres in Perfektion, hatte aber nicht immer den geforderten langen Atem, um übergreifende Strukturen deutlich herauszuspielen. Viele Schönheiten gingen durch diesen Zug zum bloß Episodischen verloren. Pogostkins Zugabe ließ Ähnliches erkennen. Sicherlich beeindruckte die Virtuosität, mit der sie das Preludio aus Bachs dritter Partita für Violine solo vortrug; allerdings wirkte das Stück eher wie ein Capriccio von Paganini als wie ein barocker Partitensatz. Pogostkins Spiel, das jetzt schon durch einen klaren, schlanken Ton und eine fast makellose Technik besticht, wird aber im Lauf ihrer Karriere sicherlich noch künstlerisch reifen.

Jakov Gotovac: Sinfonischer Kolo op. 12
Antonin Dvorak: Violinkonzert a-Moll op. 53
Bedrich Smetana: Vysehrad – Vltava – Sarka

Alina Pogostkin, Violine
MDR Sinfonieorchester
Dirigent: Milan Horvat

20. April 2003, Gewandhaus, Großer Saal

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