Wenn Bescheidenheit zum Triumph wird

Das Gewandhausorchester spielt Delius,Elgar und Lutoslawski im Grossen Concert

Dem 20. Jahrhundert war das Gewandhausprogramm in dieser Woche verschrieben und das Publikum ließ sich von Delius und Lutoslawski keineswegs verschrecken. Bis aber bei einem solchen Programm der Große Saal an zwei Tagen restlos gefüllt sein wird, muss wohl noch einige Zeit vergehen. So konnte man im Konzert am Freitag durchaus den Eindruck einer privaten Soiree gewinnen. Mit Elgars Violinkonzert hatte Midori die Hauptlast des Abends zu schultern. Gerade 31 Jahre, feiert sie in diesem Jahr bereits ihr zwanzigjähriges Bühnenjubiläum. Dass sie dabei auch in Leipzig Station macht, ist ein außerordentlicher Glücksfall. Bei ihr war der „lange Kanten“ des britischen Komponisten, der den Vergleich mit Beethoven und Brahms nicht zu scheuen braucht, bestens aufgehoben.

Während der langen Einführung des Orchesters wartet Midori mit erhobenem Bogen wie eine Fechterin auf ihren Einsatz, dann macht sie sich ans Werk. Und wie. Sie ringt um jeden Ton. Und wenn sie ihn mit weicher Farbe und Brillanz ausschmückt, bleiben die Blechbläser ehrfurchtsvoll blickend zurück. Schnörkellos, anmutig setzt Midori Akkord an Akkord, dass der Nachbarin das Kinn im Takt auf die Brust sinkt. Die zierliche Virtuosin gönnt sich nichts, wie angeschraubt sitzt das Instrument während des gesamten Konzertes an ihrem Hals. Das Orchester und Andrew Davis zeigen sich als charmante Begleiter, die zwar durchaus bestimmt spielen, aber in zuvorkommender Weise und nicht versuchen, Midori den Rang abzulaufen. Und wenn es doch einmal zu emphatisch wird, dann bringt Davis mit einem kurz ausgestreckten Zeigefinger sofort wieder Struktur in die Tempi. Und Midori dankt es auf ihre Weise. Sie nimmt die Vorlagen des Orchesters elegant auf, wie der Mittelstürmer den Pass seines genialen Regisseurs über das halbe Fußballfeld. Für so viel ehrliche Arbeit gab es langen Beifall.

Bereits der Auftakt des Abends geriet mit Delius‘ „Spaziergang zum Paradiesgarten“ aus der Oper „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ zu einer Demonstration des Wunsches nach Harmonie. Da tröpfeln die Akkorde zuckersüß aus den Holz- und Blechbläsern, wird der Weg zum Paradiesgarten in geruhsamem Tempo und seiner ganzen Breite beschritten.

Bei Lutoslawskis „Konzert für Orchester“ war es dann mit den schönen, die Ohren des Publikums umschmeichelnden Tönen vorbei, steht das Werk doch in diametralem Kontrast zu den beiden Vorgängern. Mit einer forschen, kräftig zupackenden Marschmelodie wird der erste Satz eröffnet. Gelegenheit für das Orchester, sich noch einmal von seiner besten Seite zu zeigen. Die Blechbläser treten im zweiten Satz mit einigen markanten Fanfarenstößen hervor. Fulminant dann das Finale dieses Werkes, das nicht als leichter Ohrenschmaus angelegt ist. Aber auch hier zeigt sich Davis als hervorragend eingestimmt, macht er das Publikum auf sehr unaufgeregte Weise mit der Musik vertraut. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass es auch abseits von den Gralshütern der Gewandhaus-Tradition noch Lohnenswertes zu entdecken gibt. Das Leipziger Publikum scheint dafür durchaus bereit zu sein.

Frederick Delius

Der Spaziergang zum Paradiesgarten
Intermezzo aus der Oper Romeo und Julia auf dem Dorfe
Edward Elgar, Konzert für Violine und Orchester h-Moll op. 61
Witold Lutoslawski, Konzert für Orchester

Gewandhausorchester
Dirigent: Sir Andrew Davis
Midori, Violine

25. April 2003, Gewandhaus, Großer Saal

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.