Ein Klavier, ein Klavier!!

Gewandhaus goes Jazz: Gewandhausorchester spielt Werke von Antheil, Bernstein, Blacher, Gershwin und Zimmermann im Großen Saal

Wenn das ehrwürdige Gewandhaus ein Jazz-Konzert veranstaltet, dann ist mit großen Überraschungen nicht zu rechnen. Und tatsächlich: Gershwins „Rhapsody in Blue“, der „Amerikaner in Paris“ sowie Auszüge aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ sind erwartungsgemäß mit von der Partie. Dem Publikum, welches wohl zum großen Teil wegen der genannten Werke erschienen ist, werden aber noch drei weitere Kompositionen vorgesetzt, die eher selten gespielt werden. Damit wird auch denjenigen Konzertbesuchern etwas geboten, die Gershwins Musik entweder ablehnen oder sie schon im Schlaf rückwärts singen können. Der allzu anspruchsvolle Typus scheint heute abend aber die Ausnahme zu sein, allein schon das Herunterfahren des Flügels wird mit frenetischem Beifall honoriert.

Asher Fisch ist ein Künstler von kaum überbietbarer Energie, dem die Musik gleichsam im Blut liegt. Mit vollem Körpereinsatz zeichnet er jede rhythmische Nuance, jede noch so kleine Veränderung des Pulses nach, der in dieser vom Jazz inspirierten Musik so oft wechselt. Mit der einen Hand dirigierend, mit der anderen wahnwitzige Eskapaden auf der Klaviatur vollführend, treibt er das Orchester an, als gäbe es kein Morgen. Und alle ziehen mit. Ob Blech, Holz oder die Streicher (das Schlagzeug nicht zu vergessen): Hier wird der Spaß an der Musik überall greifbar. Es ist überaus interessant, Evergreens wie Gershwins Orchester-Fantasie „Ein Amerikaner in Paris“ einmal von einem wirklich herausragenden Orchester gespielt zu hören; denn erst so werden die vielen Reichtümer dieser beliebten Musik richtig deutlich.

Nun zu den Überraschungen des Abends. Da ist zum einen George Antheils „Jazz Symphony“, ein ebenso spaßiges wie aufwändiges Werk, das neben einem Solisten noch drei weitere Pianisten beschäftigt. Am meisten gefordert ist sicherlich Asher Fisch, der gleichzeitig spielt und dirigiert bzw. in kürzesten Augenblicken von der einen Tätigkeit zur anderen wechselt. Dieses Verfahren wird er auch am Schluss des Konzerts praktizieren; allerdings ist das bei der „Rhapsody in Blue“ gar nicht mal so ungewöhnlich.

Dass das Gewandhaus einen exzellenten Solotrompeter hat, ist bekannt. An diesem Abend nahm sich John Roderick MacDonald des Trompetenkonzerts „Nobody knows de trouble I see“ von Bernd Alois Zimmermann an. Bei diesem Konzert handelt es sich um eine Auftragskomposition für den Norddeutschen Rundfunk aus dem Jahr 1954. Die Melodie des titelgebenden Spirituals fungiert als Cantus firmus und Variationsthema, taucht in vielen verschiedenen Formen auf und dominiert somit das gesamte Werk. Die Verwendung so vieler heterogener Stilelemente steht in einem bedeutenden inhaltlichen Kontext: So thematisiert das Konzert die ernste Problematik des Rassismus, deutet aber durch die Mannigfaltigkeit der kompositorischen Sprachen zugleich den Weg der Versöhnung an. John Roderick MacDonald beweist ein hohes Maß an Feingefühl und haucht den Klagen der unterdrückten Minderheit auf ergreifende Weise Leben ein.

Boris Blachers „Concertante Musik“ op. 10 verlangt vom ungeübten Hörer sicherlich am meisten. So ist sie beim ersten Hören nur schwer fasslich und hält sich mit auftrumpfenden Effekten eher zurück. Vor allem aber, und das ist nun wirklich nicht Blachers Schuld, steht die Komposition zu weit hinten in einem Konzert, das schlicht und einfach zu lang geraten ist. Es wäre besser gewesen, auf eine der Kompositionen zu verzichten; denn eine gewisse Müdigkeit, wenn nicht sogar Anflüge von Überdruss, lassen sich gegen Ende kaum leugnen. Trotzdem: ein spritziges, unterhaltsames Konzert, das das Gewandhaus wieder einmal von einer anderen Seite erleben ließ.

Gewandhaus goes Jazz

Werke von Antheil, Bernstein, Blacher, Gershwin und Zimmermann

John Roderick MacDonald, Trompete
Gewandhausorchester
Asher Fisch, Dirigent und Klavier

1.5.2003, Gewandhaus, Großer Saal

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