Den nötigen Respekt zollen

Ein Konzert mit dem Neuen Bachischen Collegium Musicum: Leipzigs Musikgrößen in den Collegia musica vor Johann Sebastian Bach

All zu oft wird die Leipziger Musikhistorie allein auf die weithin bekannten „großen“ Namen reduziert. Das Neue Bachische Collegium Musicum hat sich seit seiner Neugründung 1979 der Aufgabe verschrieben, sozusagen eine Leipziger Musikgeschichte „von unten“ zu schreiben. Dieser methodische Ansatz förderte schon in der Geschichtswissenschaft einige höchst bemerkenswerte Resultate zu Tage, wie beispielsweise Carlo Ginzburgs Geschichte eines Müllers aus dem Piemont im 16. Jahrhundert. Eine Reihe vergessener Leipziger Musiker aus dem Nebel des Vergessens zu führen, war Anliegen des Konzertes unter der Leitung von Albrecht Winter, der ab Januar 2004 der neue Leiter des Collegiums wird.

Melchior Hoffmann, Johann Georg Pisendel, Johann Gottfried Vogler – noch nichts von ihnen gehört? Zugegeben, dem Rezensenten ging es vor dem Konzert ähnlich. Den Auftakt dieser musikalischen Entdeckungsreise machte eine Suite von Telemann aus dessen Oper „Der neumodische Liebhaber Damon“. Telemann gründete das Collegium musicum und legte damit den Grundstock für vieles an musikalischem Leben, was sich bis heute in Leipzig erhalten hat. Schon die Suite zeigte, was sich wie ein roter Faden durch diesen Abend zog: das Bemühen, Alte Musik frisch und unverstaubt zu präsentieren.

Dann war die Reihe an Melchior Hoffmann. Er war Organist an der Leipziger Neukirche und Nachfolger Telemanns beim Collegium musicum. Drei Stücke zeigten Hoffmanns Vielfältigkeit und Einfallsreichtum. Langgezogen lässt er in seinem Lamento den Schmerz, die Trauer und Wut in jeder Faser des Körpers spüren, nicht ohne Hoffnung und Zuversicht zu vergessen, die das Stück beschließen. Die Musiker lassen das Lamento zu einem Wehklagen auf höchstem Niveau werden. Johann Georg Pisendel gehörte zu den anerkanntesten Violinvirtuosen seiner Zeit. Leider hielt er sich nur kurz in Leipzig auf, bevor an die Sächsische Staatskapelle nach Dresden ging, um als Konzertmeister deren Ruhm mit zu begründen. Er komponierte nicht viel und war sich selbst gegenüber ein unbarmherziger Perfektionist. Eine kleine Kostprobe davon, wie mit wenigen Bogenstrichen große Wirkung erzielt werden kann, gab seine Orchestersonate.

Leipzigs Musikleben war in den Zeiten von Telemann und Bach auch für Überraschungen gut. Da konnte es vorkommen, dass ein Mann wie Johann Gottfried Vogler als Nachfolger für das Collegium musicum berufen wurde, kurze Zeit später aber mehr oder weniger spurlos verschwand. Was war geschehen? Chronisten berichten von einem unsteten Lebenswandel und Schulden. Sogar Musikinstrumente seien verschwunden. Da blieb Vogler nur die Flucht. Seinen musikalischen Nachlass überschaubar zu nennen, ist keineswegs despektierlich. Er besteht aus genau 31 Takten einer Arie aus der Oper „Die befriedigte Damira“. Der Mann kochte keineswegs auf kleiner Flamme, so opulent kam schon die Arie daher, die kongenial von Stephanie Petitlaurent vorgetragen wurde.

Bei Bach schloss sich der Kreis an diesem Abend. Dieser hatte 1729 von Georg Balthasar Schott das Collegium musicum übernommen. Die wöchentlichen Konzerte fanden im Zimmermannischen Caffe-Hauß statt, wo heute die Pinguin-Eisbar residiert. Bachs Orchestersuite Nr.1 C-Dur BWV 1066 stammt wahrscheinlich aus seiner Zeit als Kapellmeister in Köthen. Begeisternd war das von allen Fesseln befreite Spiel der Oboen. Kleine Pretiosen des großen Meisters fanden so ihr Publikum. Aber auch die Gewissheit, dass der Thomaskantor Bach einen wohlbestellten musikalischen Acker in Leipzig vorgefunden hatte, auf dem es sich trefflich säen und ernten ließ.

Neues Bachisches Collegium Musicum

Albrecht Winter, Violine und Leitung
Stephanie Petitlaurent, Sopran

3. Mai 2003, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

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