Ehre sei Gott in der Höhe

Bachfest 2003, das Gewandhaust beweist Mut zu neuem Werk „The High Mass”von Sven-David Sandström

Wenn der schwedische Komponist Sven-David Sandström seine „High Mass“ in einem Atemzug mit den großen Vorbildern Bachs und Beethovens nennt, dann lässt dies auf ein mehr als gesundes Selbstvertrauen schließen. An Bach orientiert ist zunächst einmal die grobe formale Anlage der Messe, während die Stimmenbehandlung und weitere kompositorische Aspekte tatsächlich Beethovenassoziationen wecken. Allerdings sind diese Zusammenhänge eher abstrakter Natur. Bei näherer Betrachtung zeigen sich bald Sandströms Eigentümlichkeit und Selbstständigkeit, sodass ein möglicher Verdacht unreflektierter Anlehnung an Altbekanntes sich schlagartig zerstreut. Zwar lassen einzelne Elemente auf stilistische Anregungen von außen schließen; die Grundidee der Komposition und ihre ganz spezielle Klanglichkeit bilden allerdings eine eigene musikalische Welt für sich.

Eine „hohe“ Messe ist die „High Mass“ in der Tat: Schon die ausschließliche Verwendung von Frauenstimmen in den Solopartien weist darauf hin, dass Sandström hoch hinaus will. Aber auch der Chor wird beinahe rücksichtslos gen Himmel getrieben. Dass dieses Konzept an diesem Abend aufging, ist vor allem dem exzellenten MDR Rundfunkchor und den hervorragenden Solistinnen zu verdanken, denen man ihre Mühen kaum einmal anmerkte. Das Orchester ist sehr aufwendig besetzt und bevorzugt ebenfalls die hohen Lagen. So sind z. B. gleich fünf Trompeten im Einsatz, um der ohnehin großen Blechbläserfraktion das eine oder andere Glanzlicht aufzusetzen.

Mit ihren anderthalb Stunden Dauer ist die „High Mass“ nicht eben bescheiden dimensioniert. Dennoch wirkt die enorme Länge nicht übertrieben. Von Anfang an ist klar, dass Sandström ein monumentales Werk schaffen wollte, das dem Glauben auf „unerhörte“ Weise Ausdruck verleihen sollte. Die verschiedenen Extreme dieser Messe lassen sich nur vor diesem Hintergrund verstehen.

Dass Angst und Jubel in dieser Art von Musik nicht gerade mit dem feinsten Pinsel gemalt sind, versteht sich fast von selbst. Was das Publikum an diesem Abend auf die Ohren bekam, war allerdings oftmals äußerst unangenehm, wenn nicht sogar ungesund. Beinahe ist man versucht, von einer „Loud Mass“ zu sprechen, da sich auch die Dezibelwerte meistens in hohen bis höchsten Bereichen bewegten. Ob eine derartige akustische Belastung für Zuhörer und Musiker noch im Sinne des Erfinders ist, mag bezweifelt werden.

Jeder einzelne Satz der „High Mass“ ist individuell gestaltet und damit recht deutlich von den anderen abgesetzt. Im Verlauf des Werkes stehen immer wieder Momente großer Wirkung eher beliebig scheinenden Passagen gegenüber. So ist nicht unmittelbar einsichtig, warum der Chor am Ende des „Gloria“ das Wort „Sancto“ als „S-s-s-s-sancto“ zischelt. Was beispielsweise bei Penderecki dramaturgisch einleuchtet (so wenn in der „Lukas-Passion“ die Masse Jesus mit einem „Res-s-s-s-s-s-ponde!“ anzischt), hinterlässt bei Sandström eher Ratlosigkeit.

Herbert Blomstedt leitete die deutsche Erstaufführung der „High Mass“ umsichtig und energisch zupackend, verlor aber hin und wieder die klangliche Balance aus dem Blick, sodass der Chor mehr als einmal gnadenlos vom Orchester überdeckt wurde. Auch waren seine Augen häufig auf die Partitur gerichtet, anstatt den Kontakt zu den Musikern zu suchen. Dennoch kann diese Aufführung durchaus als Erfolg bezeichnet werden, schon allein deshalb, weil das Gewandhaus mit diesem Programm Mut zu Neuer Musik bewiesen hat und das auch noch als Beitrag zum Bachfest 2003, welches ja doch eher traditionell ausgerichtet ist. Beim Label „Decca“ wird ein Mitschnitt der Aufführungen erscheinen.

Sven-David Sandström (geb. 1942): The High Mass

Deutsche Erstaufführung

Claudia Barainsky, Sopran
Siri Torjesen, Sopran
Sara Olsson, Sopran
Malena Ernman, Mezzosopran
Lilli Paasikivi, Mezzosopran

Gewandhausorchester
MDR Rundfunkchor
Michael Schönheit, Orgel

Leitung: Herbert Blomstedt

30.5.2003, Gewandhaus, Großer Saal

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