Sag mir, wo die Töne sind, oder: Der Raum macht die Musik

Das berühmte Ensemble Il Giardino Armonico mit Werken von Purcell, Vivaldi, Sammartini und anderen in der Peterskirche Leipzig

In diesen Tagen hochsommerlicher Temperaturen bedarf es schon eines besonderen Anlasses, um freiwillig die Schatten spendende Wohnung zu verlassen. Neben einem Kühlung verheißenden Badeausflug gehört zu diesen Anlässen offenbar auch ein erfrischendes Sommerkonzert, vor allem wenn es mit hochkarätigen Künstlern aufwarten kann. Die Voraussetzungen für ein besonders interessantes Sommerkonzert scheinen an diesem Abend bestens zu stimmen, verspricht das für seinen unkonventionellen Umgang mit barocker Musik berühmte Ensemble „Il Giardino Armonico“ doch ein musikalisches Erlebnis der nicht alltäglichen Art. Zu hören gibt es eine abwechslungsreiche Auswahl von Werken beliebter wie auch nahezu unbekannter Komponisten, sodass für jede(n) etwas dabei sein dürfte.

Wenn der Publikumsandrang überdurchschnittlich groß ist, müssen die räumlichen Kapazitäten des Veranstaltungsorts diesem Umstand Rechnung tragen, das ist klar. Ein Konzert mit barocker Kammermusik in der Peterskirche stattfinden zu lassen, stellt jedoch einen groben Missgriff dar, der jeglichen Musikgenuss unmöglich macht. Bereits im Jahre 1752 heißt es bei Johann Joachim Quantz: „An einem großen Orte, wo es stark schallet […], machet eine große Geschwindigkeit mehr Verwirrung als Vergnügen.“ Wie recht Johann Joachim Quantz mit dieser Bemerkung hatte, erweist sich heute leider bei fast jedem der aufgeführten Werke. Auch den Grund dafür gibt Quantz treffend an: „Der an großen Orten allezeit entstehende Wiederschall verlieret sich nicht so geschwind; sondern verwickelt die Töne, wenn sie gar zu geschwinde mit einander abwechseln, dergestalt unter einander, daß sowohl Harmonie als Melodie unverständlich wird.“ So ist es.

Während langsame, eher getragene Passagen oder Sätze noch einigermaßen klar und deutlich durch die Kirche klingen, bleibt in den „geschwinden“ Abschnitten von den polyphonen Linien nur ein undurchdringliches Gewirr melodischer Fetzen übrig, während selbst harmonisch schlichte Sequenzen sich ungünstig überlagern. Am „Giardino“ lag es nicht: Die von zahlreichen Aufnahmen bekannten Vorzüge des Ensembles, wie rhythmische Präzision und hellhörige Kommunikation zwischen den einzelnen Musikern, lassen sich auch heute erahnen, soweit die Akustik dies einmal zulässt.

Schade um die interessante Musik! Relativ unbehelligt von den übermächtigen klanglichen Hindernissen bleibt allenfalls Carlo Farinas „Kurtzweiliges Quodlibet“, dessen parodistische Effekte auch unter diesen widrigen Bedingungen ihre Wirkung nicht verfehlen. Da werden Tiere aller Art imitiert (Hund, Katze, Hennen …), aber auch die verschiedensten Musikinstrumente (z. B. Pauken, Flöten, Gitarre). Die dabei zum Einsatz kommenden Spieltechniken erhöhen noch den Reiz des Besonderen: Zupfend, schlagend, stampfend und klopfend bringen die Musiker die aberwitzigsten Effekte hervor und setzen damit einen humorvollen Akzent.

Besonders schlimm schlägt der völlig überdimensionierte Kirchenraum bei den drei aufgeführten (Block-)Flötenkonzerten zu Buche. Angesichts des schwachen, wenig tragfähigen Klangs der Blockflöte ist man fast dankbar dafür, dass das Instrument von der durchsetzungsfähigeren Querflöte verdrängt wurde. Im Tutti neigt die Blockflöte fast immer dazu, klanglich ins Hintertreffen zu geraten. An diesem Abend ist sie selbst in den Soli kaum zu hören, wenn man nicht gerade in den ersten Reihen sitzt.

Doch Solist Giovanni Antonini trägt auch nicht eben dazu bei, die Situation zu verbessern. Wir lesen wiederum bei Quantz: „Bey aller Lebhaftigkeit, so zum Allegro erfordert wird, muß man sich dessen ungeachtet niemals aus seiner Gelassenheit bringen lassen.“ Quantz fordert zwar, einen schnellen Satz „in seinem gehörigen Feuer“ zu spielen, warnt aber zugleich vor Übertreibung; denn so würde das Stück „alle seine Annehmlichkeit verlieren.“ Ganz so schlimm kommt es bei Antonini gewiss nicht, doch die Tendenz ist leider da. Durch das oftmals aberwitzige Tempo, welches Antonini und seine Begleiter anschlagen, geht viel an Einfachheit und Klarheit verloren, zugunsten eines fragwürdigen Ideals von Virtuosität.

Noch ein weiterer Kritikpunkt Quantzens kann – mit geringen Abstrichen – auf Antoninis Vortragsweise angewendet werden. So schreibt Quantz über das Anbringen von Verzierungen: „Die rareste und schmackhafteste Speise machet uns Ekel, wenn wir ihrer zu viel genießen müssen. Eben so geht es mit den Auszierungen in der Musik; wenn man mit denselben zu verschwenderisch umgeht, und das Gehör zu überschütten suchet.“ Wenn Antonini dann auch noch in Dirigentenmanier mit dem Körper hin und her wippt und sich mal in die eine, mal in die andere Richtung dreht, bleibt es dem Zufall überlassen, wann man etwas hört und wann nicht. Auch dieses Problem war bereits im 18. Jahrhundert bekannt. Um ein letztes Mal Quantz zu bemühen: „Die Flöte muß er so halten, daß der Wind ungehindert in die Ferne gehen könne.“

„Der Glanz des Barock“

Werke von Purcell, Vivaldi, Sammartini und anderen

Il Giardino Armonico

08.08.2003, Peterskirche Leipzig

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