Altersmilde trifft jugendliches Temperament

Kurt Masur und das Schleswig-Holstein Musik Festival Orchester mit Werken von Bruckner, Bach und Schnittke im Gewandhaus

Nur hier und da waren sie zu sehen: kleine Plakate mit dem Bild Kurt Masurs, die von einer Deutschlandreise kündeten. Trotz des bescheidenen Werbeaufwands war das Gewandhaus bis auf wenige Plätze gefüllt. Keine Frage, dass dies in erster Linie dem Mann am Pult und weniger dem jugendlichen Orchester zuzuschreiben war. Masurs Engagement für den musikalischen Nachwuchs ist keineswegs eine einmalige Angelegenheit, hat er doch aus seiner Begeisterung über die Arbeit mit jungen Musikern noch nie einen Hehl gemacht, welche für ihn eine Art Jungbrunnen sei. Dass der Dirigent einen tiefen Schluck aus selbigem genommen haben muss, sah man eindrucksvoll an diesem Abend.

Zu Beginn gleich ein musikalischer Kehraus des Sommers. Schnittkes „(K)ein Sommernachtstraum“ könnte nicht gegensätzlicher zu Mendelssohns melodiöser Schwärmerei sein. Den Auftakt bildete noch ein heiteres Zwiegespräch zwischen Violine und Querflöte; aber schon kurz darauf nahm die Achterbahnfahrt ihren Lauf. Da wechselten sich Furor und Explosivität mit unschuldiger Sanftheit ab. Da entlockten die Streicher ihren Instrumenten leise Töne, da donnerte das Blech. Schon hier deutete sich an, zu welch einer Einheit die Musiker aus 31 Ländern in den letzten Wochen verschmolzen sind.

Die Gelegenheit, die jungen Musiker mit Bach bekannt zu machen, hat sich Masur dankenswerter Weise nicht entgehen lassen. Bei Bachs Konzert für zwei Violinen waren Solistinnen zu erleben, die nicht am Anfang ihrer Karriere stehen, sondern sich schon mittendrin befinden (so Oberbürgermeister Tiefensee in einer Rede vor dem Konzert). Man durfte also gespannt sein. Die musikalischen Lebensläufe von Viviane Hagner und Tatjana Becker-Bender lasen sich jedenfalls eindrucksvoll. Der Erfolg der beiden Stipendiatinnen der Deutschen Stiftung Musikleben zeigt, wie wichtig deren Arbeit ist. Die beiden Solistinnen begingen glücklicherweise nicht den Fehler und veranstalteten einen internen Wettbewerb um die Regentschaft auf der Bühne. Masur immer im Blick, harmonierten sie, anstatt zu konkurrieren. Auch die anderen Musiker fanden einen überaus beherzten Zugang zum Klang der Musik des Meisters. Da zeigte sich auch Masur vom Können der jungen Musiker beeindruckt. Das lag wohl auch daran, dass sich Masur bei Bach auf keine Experimente einließ.

Bruckners 7. Sinfonie begründete den späten Ruhm des Komponisten. Und es war der Leipziger Gewandhauskapellmeister Nikisch, der das Werk gegen alle Proteste 1884 auf den Spielplan hob. Das Leipziger Premierenpublikum bedachte den Komponisten mit fünfzehnminütigen Ovationen. Die Streicher spielten gleich vom ersten Takt an den ganz großen Bogen, wollten zeigen, wie sie die Musik dieses zeitlebens unverstandenen Genius mit allen Fasern aufgenommen hatten. Dann begann sich die riesenhafte Melodie des ersten Satzes wie eine Gebirgswand aufzubauen. Aber kein Ruckeln oder Zögern war zu hören. Und dann die Erhabenheit und Zuneigung des Adagios im zweiten Satz, die schwerlich zu übertreffen ist. Angespornt von Masur zauberte das Orchester einen betörenden Klang in den Großen Saal. Der Beifall am Ende war ehrlich verdient. Allein die stehenden Ovationen, die wohl um der Ovation willen sein mussten, verstörten am Ende.

Alfred Schnittke, (K)ein Sommernachtstraum
Johann Sebastian Bach, Konzert für 2 Violinen, Streicher, Generalbass d-Moll
Anton Bruckner, 7. Symphonie E-Dur

Viviane Hagner; Tanja Becker-Bender: Violine
Schleswig-Holstein Musik Festival Orchester, Dirigent: Kurt Masur

1. September 2003, Gewandhaus, Großer Saal

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