Wundersame Opulenz

Dvorák und Janácek mit Ingo Metzmacher im Gewandhaus

Nicht zuletzt steht der Name Ingo Metzmacher für spannende Deutungen zeitgenössischer Musik. Und ein Metzmacher-Programm mit Spätwerken Dvoráks und Janáceks verhieß von vornherein einen Konzertabend voller Überraschungen und neuer Facetten. Gerade bei Dvorák gibt es viel zu entdecken. Gleich zwei seiner sinfonischen Dichtungen hat Metzmacher unter der Handvoll Kammermusik und den zwei bis drei Sinfonien, die überhaupt gespielt werden, ausgegraben. Dvoráks dämonische Märchenstoffe aus Karel Jaromír Erbens Legendensammlung „Kytice“ bringt Metzmacher mit viel Kraft und differenziertem Klang zu Gehör. Der „Wassermann“ hat freilich nichts mit Otfried Preußlers nettem Buch zu tun, sondern ist ein naher Vetter von E. T. A. Hoffmanns ausgesprochen unfreundlichem „Sandmann“ Der feuchte Gesell aus Böhmen nimmt ein Menschenkind zur Frau und wird von ihr schließlich übers Ohr gehauen. Sie macht sich wieder aufs Trockene fort und der Wassermann nimmt, natürlich, fürchterlichste Rache. Wie nach der ruhigen Episode mit dem heimgekehrten Mädchen Gischt und Wellen aus den Tiefen des Orchesters hoch kochen – das ist schlicht grandios, ebenso wie der unkonventionelle Schluss, der mit seinem ruhigen Märchenton auf den epischen Charakter des Ganzen verweist. Die „Waldtaube“ ist ebenfalls nicht Protagonist eines hübschen Genrestücks, sondern Geist eines betrogenen und getöteten Mannes, der seine Ex-Frau und Mörderin in den Wahnsinn treibt. Man möge Smetanas „Vaterland“ ruhig einmal für ein paar Jahre aus Konzertsaal und Lehrplan verbannen, um sich öfter an Dvoráks Pendants – zwischen E. A. Poe, der „Nacht auf dem Kahlen Berge“ und der soghaften Spannung eines Kubrick-Films – zu wagen.

Metzmachers Zugang zu Janácek, geprägt von Präzision und Kraftentfaltung, bringt allerdings zumindest bei der „Spielmannstochter“ den Gelegenheitscharakter des Werkes deutlich zum Vorschein. Umso mehr überzeugen das selten gespielte Violinkonzert „Wanderungen eines Seelchens“ und vor allem die „Sinfonietta“, jenes einsame Meisterwerk, das in der Musikgeschichte seinesgleichen nicht hat.
Mit spielerischen Extremen zwischen barbarischer Kraft und zartester Intonation begeistert Isabelle Faust in diesem ebenso extremen Konzert. Wer sich für ein Werk von nicht einmal einer Viertelstunde Dauer den Berlioz’schen Luxus eines zwölffach besetzten Paukenchors nur für die erste Minute gönnt, muss einen granitenen Dickschädel besessen haben (Janácek hat dieses Konzert allerdings nicht ganz fertiggestellt; Kompilation, Komplettierung und Edition wurden aufs glücklichste von Milos Stedron und Rudolf Faltus besorgt). Es klingt fantastisch, virtuos und souverän. Extrem geht es auch weiter. Die „Sinfonietta“ dürfte der Alptraum eines jeden Orchestermanagers sein. Das Riesenorchester, das schwere Blech mit den neun Trompeten, den zusätzlichen Tenortuben, diese alles zeigt wieder jenen Komponisten, der sich um Langweiligkeiten wie Konventionen, Konditionen und spieltechnische Grenzen schlechtbezahlter Orchesterflötisten schlicht eine feuchten Kehricht schert. Etwas über zwanzig Minuten kann man sich am fröhlichen Fauvismus des alten Janácek erfreuen. Mit traumwandlerischer Sicherheit fügt er disparates zusammen, lässt Ostinatoschichten gegeneinanderlaufen, spielt sowohl mit winzigen Zellen als auch mit dem Klangzauber vielfach geteilter Streicher und gewinnt ihnen eine Musik ab, die in ihrer nur leicht gezügelten Wildheit und Fröhlichkeit sprachlos macht.

Antonín Dvorák – Der Wassermann
Leos Janácek – Des Spielmanns Tochter
Leos Janácek – Violinkonzert ?Wanderungen eines Seelchens?
Antonín Dvorák – Die Waldtaube
Leos Janácek – Sinfonietta

Gewandhausorchester / Ingo Metzmacher
Isabelle Faust, Violine

06.02.2004, Gewandhaus, Großer Saal

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