Herzenskönige zum Muttertag

Einen krönenden Abschluss des fünften a-capella Festivals bildet das Konzert im Gewandhaus

Hut ab vor der Innovations- und Organisationsleistung des Ensemble Amarcord – volle Punktzahl für Programmgestaltung, Spielorte und glatten Ablauf. Ihr eigenes Abschlussprogramm wirkte denn auch verständlicherweise ein wenig erschöpft. Ihr Programm geriet ein wenig zu nett und angestaubt. Eine Schmonzette von Saint-Saëns, etwas Frühstücksjazz und etwas südamerikanische Salonmusik. Hier wurde tief, zu tief in Schmalz- und Zuckertopf gelangt. Mit viel Öl in der Kehle wurde auch der Großteil der Moderation absolviert. Lag es am Muttertag?

Nach solch warmen Klängen die Newcomer von Niniwe, die auf jede Moderation verzichteten und einfach machten. Niniwe ist nicht nur die Stadt, die Jona nicht gern bekehren wollte, sondern ein Anagramm von „Winnie“, der Chefin des Chores. Spannend, wie sie mit Hilfe eines Computers live Rhythmusmuster aufzeichneten und daraus vielschichtige Loops bastelten. Darüber konstruierten sie federleichte minimalistische Kompositionen zwischen allen Kontinenten und Papa Jazz. Schön und erfrischend!Intermezzo aus Utrecht (NL) fuhr eine Best-of-Essenz ihrer Show auf – zwei popmusikalische Zuckerstückchen, danach ihre Version der Musikgeschichte (von den wichtigsten Madrigalen der Neandertaler zu der Originalschelleckplatte der Comedian Harmonists, die auf diese Weise aus gebührend historischer Entfernung grüßten). Unangefochtener Höhepunkt auch hier das „Harlekijnliedlied“ des Herman van Veen „flum flum flumstikkediedumstikkedieflupsflapskwee“ (in der „Originalversion für Orchester und Sopran“). Könige der Herzen, mit drei gedachten Vorhängen!Maybebop. Nun gab es, technisch sauber, diverse Popsongs und eine Eigenkomposition zu hören. Aus Videos und Werbung wissen wir, dass für die 14-24-jährigen nichts ohne hyperaktives Gehampel und Bumsrhythmus abgehen darf und mit sorgfältig einstudiertem Boygroup-Gehopse und der guten alten „Bumm-pfff-ftschk-bumm-pfff-ftschk“-Oraltrommel gibt Maybebob der Klientel, was sie ihrer Meinung nach braucht. Singen können sie, keine Frage, kleinen Mädchen die Röte auf die Wangen zu zaubern, dürfte auch kein Thema sein. Die Idee, „Porno“ auf „Adorno“ zu reimen, ist allerdings gut abgehangen und wer das Schwulensaunamadrigal von Intermezzo 24 Stunden zuvor erlebt hatte, mochte angesichts der Brave-Jungs-wollen-pikant-sein-Attitüde allerdings nur müde lächeln. Sonderpreis allerdings für die dämlichsten Publikum-mach-mit!-Spiele des Jahres. Wer im Zustand der Geschlechtsreife ist und für ein paar Pfennig Intelligenz hat, sollte sowas ablehnen, basta. Aber hier zeigte sich wieder, dass sich deutsche Massen doch noch gern dafür begeistern lassen, „jetzt mal alle ein ganz dolles Gruselgeräusch, so zombiemäßig“ zu machen oder minutenlang auf Kommando „maybebop!“ zu rufen (so lernte man dann auch gleich die Internetadresse der vier Racker auswendig).

Weder die Erbauer des Gewandhauses noch die Tonregie hatten daran gedacht, dass eines Tages auf der Bühne des Großen Saals fünf Männer aus Sardinien stehen könnten, im Kreis, mit zusammengesteckten Köpfen und Stimmen direkt aus dem Paradies, jede elektronische Verstärkung ablehnend. So konnte das Set der Tenore de Orosei nicht ganz jenen frappierenden Zauber entwickeln wie drei Tage zuvor im adäquaten Kirchenraum. Die Gewandhausakustik glich alle Härten und Nuancen aus, die Regie tat ihr übriges dazu und so bekam man nur eine Idee der archaischen Gewalt ihrer Musik zu hören. Diese Musik gehört in Räume, in denen sich Stimmen frei entfalten können – in die Kirche oder Kneipe. Sei’s drum – auch so brachten sie den Popcornpop ihrer Vorgänger schnell in Vergessenheit. Richtig bemerkte der Conferencier, dies sei Musik, die ihn zum Weinen bringen könnte. Mich auch, mein Herr.

Schließlich Rajaton aus Finnland – Höchstwertung für elegante Herrenanzüge und geschmackvolle Damenbekleidung mit leicht folkloristischem Einschlag. Noch höhere Noten für gesangliche Perfektion, natürliche Stimmenschönheit, Originalität und Bühnenpräsenz. Nein, man muss nicht hampeln oder besonders laut singen um zu erreichen, was nicht einmal Weltstars im Gewandhaus vermögen – wo sich die Konzertabende bisweilen auf der HNO-Station eines Krankenhauses abzuspielen scheinen, hörte man, wie auch schon bei den unverstärkten Sarden keinen Mucks und keinen Huster. Keinen! Rajaton glänzten vor allem mit speziell für die Gruppe komponierten Arrangements. Namentlich erwähnt sei die Sopranistin Essi Wuorela mit ihrer klaren sanft-herben Stimme, die bewies, dass man weder schreien noch sich in einen menschlichen Vibrator verwandeln muss, um auch den größten Raum komplett in den Bann zu schlagen. Was für eine Nachtigall! Strenggenommen disqualifizierten sich Rajaton später durch das Hinzuziehen einer Instrumentalsektion: Luftgitarren, -klaviere und -mandolinen dürften manchem A-cappella-Puristen sauer aufgestoßen sein (nicht umsonst ist Finnland jährlicher Austragungsort des International Air Guitar Contest). Die Interpretation des ABBA-Klassikers „Fernando“ war zwar wunderschön, reichte jedoch nicht an die luftigen Eigenkompositionen mit ihrem deutlich finnischen Einschlag und wunderbaren Widerhaken heran. Dennoch blieb Rajaton krönender Abschluss eines langen, langen Abends.

Wir haben dann noch bis sechs Uhr morgens in der Küche gesessen und keine Musik gehört.

a cappella. 5. Festival für Vokalmusik

Abschlusskonzert im Großen Saal des Gewandhauses

Ensemble Amarcord (D)
Niniwe (D)
Intermezzo (NL)
Maybebop (D)
Cuncordu e Tenore de Orosei (I)
Rajaton (FIN)

9.5.2004, Gewandhaus

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