Old Europe\’s calling

Hörenswertes von verschiedenen Bands aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz

Sollte jemand noch nicht wissen, wie die Zeit zwischen den Jahren am besten zu nutzen ist -hier ein Tipp: Einfach eine gute Platte besorgen und anhören. Als Investitionsmöglichkeit für weihnachtliche Geldpräsente, als Aufmunterung angesichts eventuell missratener Geschenke der Verwandtschaft, als musikalische Katharsis nach Klingglöckchen und Weihnachtssamplern eignet sich hervorragend: Die 7“ „King of Pop“ der Woog Riots, welche hervorragender Weise am 29.12. erscheint. Falls es etwas gibt, das weniger als nichts mit dem gemeinhin als „King of Pop“ bezeichneten Michael Jackson zu tun hat, sind dies die Woog Riots, weshalb die Platte getrost so heißen darf, wie sie heißt.

Darauf findet der geneigte Hörer drei Songs, wovon einer eine recht eigenwillige, aber nach mehrfachem Hören sehr hübsche Version von Adam Greens „Friends of mine“ ist. Die anderen beiden beweisen, was auch schon der Beitrag der Woog Riots auf dem Tribute-Sampler „Perverted by Mark E.“ zeigte, dass die Band es nämlich ausgezeichnet versteht, hörenswerte Songs zu schreiben (Riot-Pop, yeah!). Die Darmstädter schwingen die Gitarren, schrecken auch nicht vor dem Einsatz einer singenden Säge zurück und produzieren somit drei stimmige, bestens für die Jahresendzeit und alles folgende geeignete Lieder. Eine Platte, die unwillkürlich den alten Wunsch aufkommen lässt: „Wäre die Erde doch eine Scheibe! Man könnte sie umdrehen und ein anderes Lied spielen.“

Die Woog Riots spielen übrigens (zusammen mit Barbara Manning & The Go-Luckys!) am 1. Januar 2005 in der Ilses Erika, Leipzig.

Michaela Melián: Baden-Baden
„Baden-Baden“ ist ein Universum. Und dabei ist hier nicht von schwarzwaldgeprägten Miniaturmetropolen die Rede, sondern von Michaela Meliáns sieben elektro-affinen Stücken, die zusammen ihr erstes Solo-Album, „Baden-Baden“, ergeben. Michaela Melián, Bassistin und Sängerin bei F.S.K. – zur Erinnerung: die Band, die nach The Fall die meisten John-Peel-Sessions bestritt und die deutsche Lieblingsband des Briten war -, sie nun also allein (fast, denn unterstützend mischt mit: Kollege Carl Oesterhelt) mit ihren sphärischen Kompositionen, die allesamt als Begleitmusik zu diversen Kunstausstellungen Meliáns entstanden sind und „Brautlied“ oder „Ignaz Guenther House“ heißen.

Was man alles in diesen Stücken finden kann, erklärte Michaela Melián kürzlich in einem Interview: Im Titeltrack „Baden-Baden“ etwa spielt ein Franz-Liszt-Sample eine Rolle, Einflüsse eines Spaziergangs Louis-Ferdinand Célines aus seinem Buch „Norden“ wurden von der Künstlerin verarbeitet und mit anderen Bedeutungs-Ebenen verknüpft, bezugnehmend auf das zeitgleich entstandene Bild, das sie von dem Spaziergang gezeichnet hat.
Schön, dass die Musik aber auch ohne Kenntnis dieser entstehungsgeschichtlichen Details wirkt: Ausgefeilte rhythmische Finessen, irreführende Tempi, dräuende Harmoniewolken in Kombination mit tänzelnden Melodien – hier fehlt nichts, was gute Computermusik ausmacht. Einzig das Albumcover, ein Melián-Werk namens „Life as a Woman“, stellt, zumindest formal, eine explizite Verbindung zur Bildenden Kunst dar; die Musik auf „Baden-Baden“ aber ist im Wohnzimmer genauso faszinierend wie im Club wie im Museum.

Phoenix: Alphabetical
Wer Phoenix nicht kennt, kann sich deren Musik so vorstellen: Air gehen mit Elliott Smith ins Studio, laden sich dazu noch einen von den Roots ein und produzieren Songs, die sich nach St. Tropez und 365-Tage-Sommer anhören und dabei aber auch oft ein bisschen traurig wirken. Leicht zu klingen, ohne oberflächlich zu erscheinen, ist die Spezialität von Phoenix, und dass diese Band aus Frankreich kommt, spricht für sich. File under „Das neue Cool“.

„Alphabetical“ ist bereits das zweite Album von Phoenix, im Sommer 2000 erschien das Debut „United“, welches hierzulande zwar auch hochgelobt, jedoch insgesamt weniger beachtet wurde als der Nachfolger. Woran das liegt – schwer zu sagen, sind doch die neuen Lieder nicht ganz so eingängig-einlullend wie die alten, sondern, vom Opener „Everything is everything“ mal abgesehen, zielloser im besten Sinne. Man könnte, wüsste man es nicht besser, Bedeutungslosigkeit unterstellen, und hat es doch mit etwas exakt Ausgetüfteltem zu tun. Die Musik fließt, gelegentlich unterbrochen von kleinen Synkopen und Hintergrundsamples, die Stimme des Sängers fügt sich nahtlos ein, und wäre das Ganze ein bisschen weniger „musique automatique“, könnte es als idealer Soundtrack zu Françoise Sagans „Bonjour Tristesse“ durchgehen. So aber bleibt „Alphabetical“ ein Album, das uns, hätte sich der Sommer 2004 ein Beispiel an ihm genommen, einige Sonnenstunden mehr beschert hätte und immerhin 37 Minuten Sonnenuntergangsmusik beschert hat.

Die Aeronauten: Zu gut für diese Welt
Sie haben ja recht. Die Aeronauten sind zu gut für eine Welt, in der überall irgendjemand wohnt, in der alle irgendwas tun, in der alles nur vorläufig ist und die allgemeine Beliebigkeit nicht einmal vor der Heimat der Aeronauten, der Schweiz, Halt macht. Wer sie in den bisher 13 Jahren ihres Bestehens noch nicht kennengelernt hat, hat Großes und Bedeutendes verpasst: Die bandgewordene Gegenbewegung zu sämtlichen Unsympathen dieser Welt, „geniale Dilettanten“ (Dan Suter), furiose Gitarrenmusiker ohne Scheu vor Bläserarrangements, oder, wie sich Bassist Hipp selbst beschreibt: „Immer laut, nie versaut, ich bin ein knorke Aeronaut.“ Wie knorke sie wirklich sind, beweist das „Best of“-Album „Zu gut für diese Welt“, das 16 Klassiker und 9 rare, teilweise gar bisher unveröffentliche Tracks vereint. Im liebevoll zusammengebastelten Bandhistory-Booklet liest man Wahres: „Fuck Aerosmith – it’s die Aeronauten“.

„Das klingt ja wie“-Sätze haben die Aeronauten nicht verdient, und Parallelen zu diversen Hamburger (-Schule-) Bands müssen nicht gezogen werden. Es kann jedoch festgehalten werden, dass die Schweizer weder in die „Hurra, wir sind superlustig“-Falle tappen noch in die Ecke „Deprimusik für Gammler“ gestellt werden können; dass sie es sich leisten können, Lieder wie „Danke!“, sowohl musikalisch als auch textlich ein kleiner Geniestreich, jahrelang unveröffentlicht zu lassen, liegt wohl allein darin begründet, dass alle Aeronauten-Lieder auf ihre Art gelungen sind. Dafür mussten natürlich auch Opfer gebracht werden („Früher freute ich mich mehr auf die Aeronauten als auf meine Freundin. Heute kann ich mich nur noch auf die Aeronauten freuen“, so Produzent Tom Etter), und der ganz große Hit ist ein kleiner Hit („Freundin“) geblieben (schade nur, das die grandiose Casio-Version „Bonne amie“ auf dem „Best of“ fehlt). Aber was auch immer diese Band in den nächsten Jahren – hoffentlich werden es noch viele – macht: Solange es Musik ist, kann es eigentlich nur gut werden.

Woog Riots:
King of Pop (7“)

What’s so funny about

VÖ: 29.12.2004

Michaela Melián:
Baden-Baden

Monika 39 / Monika Enterprise

VÖ: 01.11.2004

Phoenix:
Alphabetical

Labels / EMI

VÖ: 29.03.2004

Die Aeronauten:
Zu gut für diese Welt

L’Age D’Or

VÖ: 02.02.2004



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