Früher war alles neuer

Die Compilation „Beatschuppen – Essential Club Music From The 60s” führt zur Soziokulturellen Umdeutung des Tanzlokals

Die 1960er Jahre waren cooler, als die „Rock-Oldies“ bisher ahnen ließen:
Einer der bisher kaum erforschten soziokulturellen Abgründe, die sich in unserer Gesellschaft auftun, ist der Zusammenhang zwischen der umgangssprachlichen Bezeichnung für ein – in Ermangelung eines wertfreieren Begriffes – Tanzlokal und dessen Klientel. Beispiele: Wer guten Gewissens von sich behauptet, in eine „Disse“ zu gehen, wird seinen musikalischen Geschmack oft irgendwo zwischen „Ich hör alles, aber kein Hiphop.“ und „Dancefloor, Alter!“ einordnen. Wer verkündet, eine „Disco“ aufsuchen zu wollen, erwartet häufig vielgespielte Musik aus schon etwas länger zurückliegenden Jahrzehnten, wohingegen „Diskothek“ zur Zeit seine Renaissance erlebt und zuweilen von Personen unter 30 Jahren (oder ZEIT-Redakteuren) verwendet wird. Wer „Club“, wer „Laden“, wer „Tanzcafé“ sagt, sagt damit gleich etwas über seinen Musikgeschmack, seine Sozialisation, seine Ansprüche und und und.

Soviel zur Theorie. Praktisch haben wir es zu tun mit einer Kompilation namens „Beatschuppen“, und schon lässt sich das Theoretische anwenden: Wer „Beatschuppen“ sagt zu dem Ort, wo er tanzen geht, macht Hoffnung auf ein mindestens interessantes Etablissement – gut, dass hier gleich die Musik Aufschluss gibt. Zusammengestellt vom 1960er-Experten des Münchener Atomic Cafés, DJ Weyssi, findet man auf Essential Club Music From The 60s 21 Songs – von denen allerdings kein einziger aus der Zeit zwischen 1960 und 1964 ist und einige aus der Zeit zwischen 1970 und 1987. Das verwundert, stört aber nicht, denn die Platte verleitet in ihrer Gesamtheit zu einigen Lobeshymnen.

Das Beste zuerst: Von den üblichen „Das Beste aus den 60ern aka Rock-Oldies“-Bekannten findet sich auf dem Panatomic-Sampler kein einziger. The Platters, Bill Haley And His Comets und Konsorten fanden offensichtlich keine Gnade beim „Beatschuppen“-Türsteher. Dafür entdeckt man Wahnsinniges, zum Beispiel ein Lied von Cindy & Bert, die 1970 anscheinend noch nicht völlig verloren waren für die anständige Musikwelt; jedenfalls coverten sie damals die Hardrock-Hymne „Paranoid“ von Ozzy Osbourne („Occupy my brain, oh yeah“), und Cindy sang einen Text dazu, der einem noch heute die Tränen in die Augen treibt: „Wer verbreitet Angst und Schrecken, wer vernichtet, was er will? Jeder sucht sich zu verstecken vor dem Hund von Baskerville.“ Was es nicht alles gibt!

Neben solchen Juwelen (ohne Anführungszeichen wohlgemerkt) hört man auch einige Anfänge dessen, was sich heute in den sogenannten Indiecharts abspielt. Diese Feststellung soll aber nicht zu großem Gejammer über die (ohnehin nur angebliche) Ideenlosigkeit der heutigen Bands überleiten – vielmehr erkennt der Hörer der Club Classics, dass früher nicht alles besser, aber eben vieles neuer war. Ehre, wem Ehre gebührt.

Die Rarität „Peanut Duck“, in der Mod-Szene ein Klassiker und zudem eine Kurisosität als einer der wenigen Popsongs überhaupt, bei dem der Interpret unbekannt ist, kursierte bisher nur als nicht autorisierte Aufnahme; „Forge Your Own Chains“ von D.R. Hooker lässt die Frage aufkommen, warum dieses Lied außerhalb des Atomic Cafés kaum bekannt ist. Kurz, die Auswahl ist ein gelungenes Gemisch aus bisher Unveröffentlichtem, tanzflächenerprobten Lieblingen des Münchener Anti-Schicki-Publikums und den persönlichen Favoriten von DJ Weyssi – „beat, psyche, soul & garage from the swingin‘ sixties“, fasst das zum Atomic Café gehörige Label Panatomic zusammen. Ein musikalischer Kosmos zum Entdecken und Weiterhören, und wer bisher nicht an ein ordentliches 60er-Revival denken wollte, kann jetzt damit anfangen. „Beatschuppen“ is the new „Disco“.(Friederike Haupt)
Tracklist:

01. D.R. Hooker – Forge Your Own Chains
02. Timebox – Beggin‘
03. Georgie Fame – No Thanks
04. The Village Callers – I Don’t Need No Doctor
05. David Bowie – In The Heat Of The Morning
06. The Left Banke – I Haven’t Got The Nerve
07. The Tower – Slow Motion Mind
08. Cindy & Bert – Der Hund Von Baskerville (Paranoid)
09. Terry Reid – Superlungs My Supergirl
10. The Remo Four – Heart Beat
11. T.C. Atlantic – My Babe
12. The Remains – Why Do I Cry (live version)
13. Orchestra Harlow – Freak Off
14. Unknown Artist – Peanut Duck
15. Bobby Valentin – Use It Before You Lose It
16. Ray Baretto – The Soul Drummer
17. Young Holt Trio – Ain’t There Something Money Can’t Buy
18. The New York Rock Ensemble – Fields Of Joy
19. The Guess Who – It’s My Pride
20. The Sonics – Have Love Will Travel
21. Miracle Workers – When A Woman Calls My Name

Beatschuppen
Essential Club Music From The 60s

Panatomic / Indigo

VÖ: 21.02.2005

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