Die Taube in der Hand

Hamburg ist durch das neue Kettcar-Album „Von Spatzen und Tauben,Dächern und Händen“ noch nicht am Ende

Solange Kettcar noch spielt, ist Hamburg nicht am Ende

Kettcar werden in der Regel nicht mit anderen deutschsprachigen Bands verglichen“, liest man im Presseheft zum neuen Album „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“, und gleich hat man eine Ahnung, warum das so sein mag: Wer kann es sich heutzutage schon noch erlauben, sich solche Titel einfallen zu lassen, diese beim Label durchzusetzen und anschließend, erhaben über jeden Verdacht der Kitschseligkeit, strahlend aus alldem hervorzugehen? 2002 gab’s das erste Kettcar-Album, „Du und wieviel von deinen Freunden“, das, märchenhafte Pop-Welt, auf dem eigens dafür gegründeten Label Grand Hotel van Cleef erschien, weil keine Plattenfirma es hatte herausbringen wollen. Die Verkaufszahlen waren groß, der Jubel durch die Bänke der Musikjournalisten und Plattenkäufer größer, aber am größten waren die Erwartungen – was kann danach noch kommen?

Und das ist sie nun also, die neue Platte: „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ – willkommen in der Wortspielhölle, denkt sich vielleicht der, der Kettcar noch nicht kennt und Marcus Wiebusch, den Metapher-Man – und Sänger – der Band, dem es immer wieder gelingt, Banalitäten links liegen zu lassen. Pseudolyrik, Erinnerungsmief und Säuselton überlässt die Hamburger Band anderen, Befindlichkeitsdramatik spielt keine Rolle, und überhaupt, die Texte: Elf Lieder mit Namen wie „Tränengas im High-End-Leben“, „Stockhausen, Bill Gates und ich“ oder „Handyfeuerzeug gratis dazu“ und ganz und gar nicht albernen, sondern vielmehr im besten Sinne durchkomponierten Texten. Wäre es nicht so abgedroschen, könnte man von „Wahrheit“ sprechen, und wie man weiß, ist das Einfachste oft am schwersten zu sagen. „Nur weil man sich so dran gewöhnt hat, ist es nicht normal, nur weil man es nicht besser kennt, ist es nicht, noch lange nicht egal“, heißt es in „Deiche“, und angesichts dieser Zeilen kann schon ein Viertel aller deutschsprachigen Bands einpacken und zurück in den Proberaum oder ins „Kreatives Schreiben“-Seminar.

Keine Gefühls-Hochstapelei also („Vergiss Romeo und Julia, wann gibt’s Abendbrot?“), und was die Texte können, kann auch die Musik. Besonders schön in den ruhigeren Songs, fast ein wenig wie, um den Vergleich mit deutschsprachigen Bands zu vermeiden, Nada Surf in ihren besten Momenten, durch die Stimme von Marcus Wiebusch aber doch unverwechselbar. Ab und zu dezente Streicher oder ein kleiner Chor im Hintergrund, die einzelnen Instrumente angenehm voneinander abgesetzt und unvermatscht abgemischt. „Balu“, eines der schönsten Lieder auf dem neuen Kettcar-Werk, muss jedenfalls ins Lehrbuch „Wie eine ideale Ballade zu sein hat“ aufgenommen werden, sollte jemals jemand dieses verfassen.

Thees Uhlmann, Tomte-Sänger und Grand-Hotel-van-Cleef-Mitbegründer, schreibt über Kettcar: „Ich kann behaupten Freund zu sein mit den Menschen, die die schönste Musik machen, die man sich vorstellen kann. Ich bin so froh!“, und es fällt schwer, sich beim Hören von „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ nicht von seiner Begeisterung anstecken zu lassen – aber was spricht auch dagegen? Lange kam nicht mehr solche Musik aus Hamburg, und diese Stadt, die immer noch einen Ruf zu verlieren hat, kann Kettcar dankbar sein für alles. Spatzen, Tauben, Dächer und Hände für alle.

Kettcar:
Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen

Grand Hotel van Cleef

CD, VÖ: 7. März 2005

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