Der Ausnahmekünstler

Ein Klavierabend im Großen Saal mit Alfred Brendel

Alfred Brendel betritt das Podium, verbeugt sich kurz und beginnt zu spielen. So unspektakulär das Auftreten des Menschen Brendel auch sein mag – was der Pianist Brendel in den folgenden zwei Stunden zu Gehör bringt, bestätigt einmal mehr seinen Ruf als absoluter Ausnahmekünstler. Über Brendels Art und Weise, Werke der Wiener Klassik zu spielen, kann man dabei durchaus geteilter Meinung sein – vor allem dann, wenn man sich zu den Anhängern oder gar Verfechtern der sogenannten historischen Aufführungspraxis zählt. Doch wer in ein Brendel-Konzert geht, weiß, was sie oder ihn erwartet, und dürfte an einem Abend wie diesem kaum auf stilgerechte Interpretation pochen. Das Publikum im ausverkauften Großen Saal des Gewandhauses ist jedenfalls sichtlich angetan.

Brendels Mozart-Spiel lässt sich vor allem mit zwei Begriffen umschreiben: Klarheit und Klangschönheit. Mozarts ebenso filigranen wie virtuosen Duport-Variationen verleiht Brendel einen ätherischen, teilweise fast unwirklich zarten Klang, der sich in einmaliger Weise mit höchster Präzision verbindet. Erst die vollkommene Ebenmäßigkeit seines Spiels ermöglicht es Brendel, jenes Leuchten hervorzubringen, welches nicht einer subjektiven Schwelgerei entspringt, sondern unter Ausschaltung solcher persönlichen Bindungen allgemein Menschliches ausspricht. Auch an Haydns später Klaviersonate Hob. XVI:48 erweist sich an diesem Abend Brendels unverwechselbare Synthese von strukturell-rationaler und klangsinnlicher Herangehensweise. Der zukunftsweisende erste Satz der Sonate wird unter Brendels Händen zu einem Höhepunkt des Abends.

Zwischen den beiden genannten klassischen Werken, welche Anfang und Ende des Konzerts bilden, spielt Brendel zwei Kompositionen der Romantik. Und im Gegensatz zu seinem Umgang mit der Musik Haydns und Mozarts zeigt er sich bei Schumann und Schubert durchaus subjektiv. Um es gleich zu sagen: Brendels Aufführung der Kreisleriana kann mich nur teilweise überzeugen. Während die langsamen Sätze berührende Bilder meditativer Versunkenheit malen, fehlt es Brendel in den virtuoseren Passagen – zum Beispiel gleich im Eröffnungsstück – an jener Impulsivität (vielleicht sogar: Rücksichtslosigkeit), welche für dieses Jugendwerk Schumanns so wichtig wäre. Leider wird im ganzen nicht deutlich, worauf Brendels Interpretation zielt. Kleinere technische Ungenauigkeiten (einschließlich einer kurzen „Improvisation“) trüben den Gesamteindruck des Zyklus zusätzlich. Warum Brendel übrigens schon zu spielen beginnt, während der Applaus für die vorangegangenen Mozart-Variationen noch gar nicht verklungen ist, weiß der Pianist allein.

Schuberts Moments Musicaux versöhnen nach den etwas enttäuschenden Kreisleriana allerdings wieder voll und ganz. Wie Brendel diese ganz besonderen pianistischen Kleinode mit Leben erfüllt, sucht nicht nur hierzulande seinesgleichen.

Der Applaus ist nach vollbrachter Tat erwartungsgemäß groß, die stehenden Ovationen verstehen sich auch fast von selbst. Als Zugaben spielt Brendel das verträumte Impromptu Ges-Dur D 899 und zuletzt – als kleine Verbeugung vor dem Leipziger Publikum – Bachs Choralvorspiel Nun komm der Heiden Heiland (in der Klavierfassung von Busoni). Ein schöner Abschluss, dem eine ebenso schöne Stille folgt.

Klavierabend mit Alfred Brendel

W. A. Mozart: Neun Variationen über ein Menuett von Jean-Pierre Duport D-Dur KV 573
Robert Schumann: Kreisleriana op. 16
Franz Schubert: Moments musicaux D 780
Joseph Haydn: Sonate C-Dur Hob. XVI:48

17. Februar 2005, Gewandhaus, Großer Saal

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