„In jedem von uns steckt ein Willenbrock”

Interview mit Andreas Dresen zur Premiere seines neuen Films „Willenbrock”

Andreas Dresen bei Dreharbeiten zu „Herr Wichmann von der CDU“ (Bild: Piffl)

Bernd Willenbrock hat es geschafft. Sein Gebrauchtwagenhandel floriert, daheim wartet eine zauberhafte Frau auf ihn, für die schnelle Nummer zwischendurch ist auch gesorgt, und für einen Flirt mit einer Studentin bleibt da trotzdem noch Zeit. Nichts scheint seine Welt erschüttern zu können. „Ich habe immer gelacht“, heißt es in Christoph Heins Roman Willenbrock, der Andreas Dresen als Vorlage für seinen neuen, gleichnamigen Film diente. „Ich war immer zufrieden, mit mir, mit der Welt.“

Andreas Dresen, 1963 in Gera geboren und zur „Wendezeit“ Regiestudent an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg, legt mit Willenbrock seinen fünften abendfüllenden Spielfilm vor. Berühmt wurde Dresen, der heute zu den wichtigsten deutschen Filmemachern gehört, durch preisgekrönte Filme wie Nachtgestalten, Die Polizistin oder Halbe Treppe, die formal durch ihre Improvisation und den Handkamerastil geprägt sind. Willenbrock dagegen ist eine Filmkomposition in Cinemascope, die zunächst heile Bilder für die heile Welt des Protagonisten findet wie die trügerische Akkuratesse der Wohnhaussiedlung. Verwackelt werden die Bilder erst, als Willenbrocks Scheinsicherheits-Kosmos durch einen brutalen Überfall ins Wanken gerät und er sukzessive begreift, dass es in der veränderten Welt von heute keine absolute Sicherheit gibt. Es ist eine große Leistung des Romans wie auch des Films, anhand der Figur des Willenbrocks diesen gesellschaftlich schwer greifbaren Prozess sichtbar zu machen, an dessen Ende häufig die Hysterie lauert.

„In jedem von uns steckt doch ein kleiner Willenbrock“, sagt Dresen – und macht bei sich selbst keine Ausnahme. In Hitchcockscher Manier erscheint Dresen in einer Statistenrolle: als Bräutigam auf einer Hochzeitsfeier, in die Willenbrock und seine Frau Hilfe suchend hineinplatzen. Der ignorante Gesichtsausdruck des Bräutigams gegenüber den Sorgen dieser Fremden spricht Bände.

Jörn Seidel, Leipzig-Almanach: Für WIllenbrock haben Sie zum ersten Mal mit einer Romanvorlage gearbeitet. Seit Ihren frühen Filmen wie Zug in die Ferne oder Stilles Land haben Sie erstmals wieder eine 35-Millimeter-Kamera verwendet, die Improvisation zurückgedrängt und streng nach Drehbuch gefilmt. Ist der Andreas Dresen von heute ein neuer?

Andreas Dresen: Es ist ja nur die Form eine neue. Inhaltlich gibt es natürlich immer noch viele Ähnlichkeiten. So anders kann es ja auch deshalb nicht sein, weil wir für Willenbrock die komplette Crew von Halbe Treppe übernommen haben. Die Leute kennen mich vor allem aus Nachtgestalten, Die Polizistin oder Halbe Treppe. Aber, ich habe ja auch Filme davor gemacht, und diese andere Form ist mir durchaus bekannt. Es stimmt allerdings, dass ich nach Halbe Treppe an einen Punkt angelangt war, an dem es nicht mehr weiterging. Wir hatten seit Nachtgestalten die Minimalisierung der Mittel stetig fortgesetzt. Am Ende, in Halbe Treppe, gab es sogar überhaupt kein Drehbuch mehr und nur noch die Digitalkamera. Es hätte so nicht mehr weiter gehen können, dann wären auch die Filme irgendwann langweilig geworden. Es musste etwas Neues passieren. Sicherlich komme ich auf einiges noch mal zurück – ich hab viel gelernt in dieser Phase. Das war eine schöne Zeit, aber diese Zeit ist vorbei. Ich könnte so was nur unter ganz anderen Umständen noch einmal machen. Außerdem verlangt jeder Stoff seine eigene Form. Willenbrock mit einer wackeligen Digitalkamera zu filmen, das wäre nicht möglich und falsch gewesen.

Axel Prahl als Willenbrock („Willenbrock“-Fotos: Delphi)

Seidel: Wann haben Sie beschlossen, Christoph Heins Roman Willenbrock zu verfilmen?

Dresen: Das war schon vor einer langen Zeit, 2000, als das Buch gerade erschien. Mir hat es sofort gefallen, weil es eben auch diese gesellschaftliche Dimension besitzt. Dann haben Laila Stieler, die Drehbuchautorin, und ich uns daran gemacht, das Drehbuch zu entwickeln.

Seidel: Die Verfilmung weicht in vielen Details von der Vorlage ab. Bernd Willenbrock ist nicht mehr spezifisch eine Nachwende-Figur. Auch erscheinen die Figuren nicht mehr so distanziert wie im Roman. Was war Ihre Idee dahinter? Und hat das Christoph Hein nicht gestört?

Dresen: Christoph Hein ist ein ganz intelligenter und erfahrener Autor und Dramaturg, der weiß, dass ein Film ganz anders funktioniert als ein Buch. Er hat uns völlige Freiheit gelassen, uns sogar darin bestärkt, uns vom Buch zu lösen und daraus etwas Eigenständiges zu machen. Wir haben vor allem die Traumfiguren verstärkt, um dramatisches Potential zu gewinnen. Auch die Perspektive mussten wir ändern – der Roman wird ja vor allem aus der Innenperspektive Willenbrocks erzählt -, das mussten wir im Film natürlich anders machen. Den Ort der Handlung haben wir von Berlin nach Magdeburg verlegt, die Handlung aus der Nachwende-Zeit ins Heute versetzt.

Seidel: Ein Willenbrock ist also auch in unserer heutigen Zeit und an vielen Orten zu finden?

Dresen: In jedem von uns steckt doch ein kleiner Willenbrock. Im Grunde sind wir alle kleine Verdränger. Wir halten die Unsicherheiten so weit wie möglich von uns weg. Dabei hat Willenbrock ja sogar einen polnischen Angestellten, der eigentlich die ganze Arbeit auf dem Autohof macht. Aber, mit dessen Problemen – mit der Frau zu Hause und dem Sohn, der abgehauen ist – möchte er sich eigentlich nicht beschäftigen, gibt ihm lieber mal eine Gehaltserhöhung. Er tritt als der Gönnerische auf, aber will sich damit eigentlich die Probleme vom Hals schaffen. Es ist ja auch bei uns so, dass wir gerne die Augen zu machen vor den Katastrophen und Problemen in dieser Welt – bis sie uns irgendwann selbst betreffen. Dabei ist so einer wie Willenbrock in ganzer Linie ja sogar dafür mitverantwortlich, durch die Art, wie er lebt.

Seidel: Für die Leser des Romans ist die Besetzung des Willenbrocks mit Axel Prahl eher überraschend. Wieso haben Sie sich für ihn entschieden?

Dresen: Ich hatte zuerst auch nicht an Axel Prahl gedacht. Aber, ich mag ihn eben auch sehr gern, er ist ein Sympathieträger. Wir haben dann ein paar Probeaufnahmen gemacht und gemerkt, dass es einfach passt. Um Erfolg bei Frauen zu haben, zählen ja auch andere Sachen als nur das Aussehen – man kann ja auch mit Charme überzeugen. Und Axel ist einfach jemand, der so strahlt.

Seidel: Man sieht Axel Prahl so häufig in Ihren Filmen. Steckt in ihm sogar eine Portion Alter Ego von Ihnen?

Dresen: (Lacht) Erstmal sieht er ja total anders aus als ich. Aber, wir verstehen uns sehr gut. Wir können gut miteinander lachen, haben den gleichen Humor. Und wir haben auch die gleiche Arbeitsauffassung. Ich bin ja eher jemand, der lieber mal etwas ausprobiert, statt es lange zu diskutieren. Und Axel eben auch.

Seidel: Außer mit Axel Prahl arbeiten Sie immer wieder mit Schauspielern zusammen, deren Gesichter man eher selten auf der Leinwand sieht. In Willenbrock bekommt man zum Beispiel eine großartige Inka Friedrich zu sehen oder in zwei kurzen Auftritten Sven Hönig – Schauspieler, die man vor allem aus dem Theater kennt. Gehört das zu Ihrem Konzept, das sich um eine besondere Authentizität bemüht?

Dresen: Ich finde, es gibt so viele ganz wunderbare Schauspieler. Warum sieht man die nicht auf der Leinwand? Ich gehe relativ oft ins Theater – obwohl ich ja auch meine Probleme habe mit dem Theater, so wie es häufig ist -, und von daher kenne ich eben auch andere Gesichter. Häufig verbindet man mit einem Gesicht schon einen ganz bestimmten Schauspieler, den man dann „in einer Rolle“ sieht. Das kann die Erzählung durchaus behindern. Bei Axel muss ich schon langsam aufpassen. Den könnte ich heute auch nicht mehr als Wurstverkäufer an die Imbissbude stellen – die würden ihn sofort erkennen. Er hatte seine Rolle in Halbe Treppe ja richtig für sich angenommen und sich sogar als Uwe ausgegeben.

Seidel: Sie haben mal gesagt, Sie würden gerne mal einen „richtigen, in die Tiefe gehenden Film über die DDR“ machen. Fehlt der Ihnen noch in der bisherigen Kinolandschaft?

Dresen: Ja, der fehlt. Den gibt es einfach nicht. Es gibt keinen Film, der die DDR ernst nimmt und sie in ihrem Kern begreift. Man zeigt immer nur Äußerlichkeiten und Klamauk. Dabei war das natürlich gar nicht die DDR. Die geht dabei immer verloren. Ich glaube, die Ostdeutschen wollen sich auch gar nicht richtig erinnern, weil das natürlich auch schmerzvoll ist.

Seidel: Und die Westdeutschen?

Dresen: Für die Westdeutschen ist die DDR ein abgeschlossenes System. Wie ein Zoo. Aber es hat nun einmal dieses Experiment gegeben. Wenn man sich wirklich damit beschäftigen will, dann muss man sich eben darauf einlassen, es in seinem Misslingen auch analysieren und auf sich beziehen. Wir leben ja schließlich nicht in der besten aller möglichen Welten.

Willenbrock

Deutschland 2004, 108 Min.
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Laila Stieler
Kamera: Michael Hammon
Darsteller: Axel Prahl, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle

Kinostart: 17. März 2005
Premiere: 18.03.05, Passage-Kinos Leipzig


Willenbrock läuft derzeit in den Passage-Kinos und ab dem 4. April in der Kinobar Prager Frühling.
Der Roman von Christoph Hein ist u.a. erhältlich als Suhrkamp-Taschenbuch, 319 Seiten, 10,- Euro, ISBN 3-518-39796-6


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