Die Perfektion der besten Art und Weise

Die neuen Anzugträger: Die Band Interpol gastiert in Berlin

Über die Band Interpol kann man nicht
pathetisch genug schreiben

Es gibt Texte, die sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Dieser hier ist einer davon. Während die, die Interpol nur mit Kriminalfällen verbinden, die folgenden Zeilen für übertrieben, überdreht, übersubjektiv halten werden, werden diejenigen, die die Musik der New Yorker Band Interpol kennen, wahrscheinlich feststellen, dass auch der pathetischste Satz nicht einmal annähernd die wahre Größe dieser Band einfangen kann. Ein Text über das Berlin-Konzert von Interpol ist das hier also, zwangsläufig misslungen und doch geschrieben.

Schwer zu sagen, ob die Columbia-Halle jemals so viele Anzug tragende Konzertbesucher gesehen hat wie an diesem Mittwoch – fest steht, es waren einige, und sie waren keinesfalls overdressed. Denn Interpol verkörpern auf eine Weise eine neue Ernsthaftigkeit, die von anderen Bands allenfalls ironisch gebrochen dargeboten wird, was auch gut so ist, denn ernsthaft zu wirken und es dabei wirklich und sinnvoll zu sein, ist ein Kunststück, das den wenigsten gelingt (und das die allerwenigsten einer Band überhaupt zutrauen). Interpol treten in dunklen Anzügen auf, nicht, weil es schick wäre (es ist schick, keine Frage), sondern weil ein anderes Outfit einfach nicht zu dieser Musik passen würde (ein Stilbewusstsein, das in Deutschland höchstens Dirk von Lowtzow mit seinem Buffy-T-Shirt erreicht). Das im September 2004 erschienene Interpol-Album Antics gehört zu den herausragendsten Rockmusikalben des letzten Jahres, und wenn einem überhaupt ein Vergleich einfällt, dann ist es der mit Joy Division. Selten hat man solche Lieder gehört wie „Slowhands“, „A time to be small“ oder „Evil“, die gleichzeitig so dunkel klingen und dabei so strahlend, perfekt und dabei nicht glatt. Und das schon auf dem Album.

Als Interpol kurz nach 22 Uhr die Bühne betreten und den ersten Song spielen, staunt man ein wenig: Kein Stimmungsmacher, wie ihn die meisten anderen Bands an den Anfang ihrer Konzerte stellen, sondern „Next exit“, der Opener des neuen Albums, eine sphärische 3:22-Minuten-Nummer, die die Stimme des Sängers Paul Banks in den Vordergrund stellt – mit gutem Grund. Wer gedacht hatte, dass eine Stimme wie auf den beiden Interpol-Alben (das Debüt Turn on the bright lights erschien 2002) nur das Werk eines begabten Produktionsteams sein könne, wurde in Berlin eines besseren belehrt. Jedes Wort, auf diese dramatische, düstere, melodiöse Weise gesungen, gewinnt einen zweiten Sinn, und als Banks, in violettes Licht getaucht, den Kopf leicht geneigt, hochkonzentriert das Konzert beginnt, kann sich ihm für die nächsten anderthalb Stunden niemand entziehen.

Zweites Lied, zweites Staunen: „Slowhands“ – man erkennt es wie jeden Interpol-Titel bereits an den charakteristischen ersten Takten. Den Song, auf den alle warten, so früh zu spielen, ist gewagt und würde bei den wenigsten Bands funktionieren – bei Interpol funktionierte es, die Spannung während des Konzertes nahm unabhängig von Titel und Uhrzeit zu und zu. Wie Banks seine brennende Zigarette zwischen die Saiten am Gitarrenkopf steckt und es im roten Licht aussieht, als würde das Instrument anfangen zu brennen; wie beim Song „Take you on a cruise“ der musikalische Bruch nach etwas über zwei Minuten so viel intensiver als auf dem Album kommt; wie ohne jegliche Rock’n’Roll-Repertoire-Gesten, fast immer gelassen dastehend, eine solch unbändige Energie transportiert wird; wie die vor Beginn des Konzerts noch finster dreinblickenden Anzugträger im Publikum bei jedem Lied glücklicher aussehen; wie bei „Not even jail“ die ganze Columbia-Halle mit weißen Lichtblitzen und Interpol-Musik gefüllt ist – dafür gibt es eben kein Wort, sehr zum Nachteil dieses Textes.

Interpol spielen, man wähnt sich im Manchester der 1980er Jahre, und es tut einem für einen Abend ein bisschen weniger leid, damals nicht dabei gewesen zu sein. Was bleibt, sind die Alben, die Erinnerung und die Hoffnung auf eine nächste Interpol-Tour. Und sollte das alles hier nach dem Tagebucheintrag eines Groupies aussehen: sehr gut.

Konzertbericht Interpol

Berlin, 13. April 2005, Columbia-Halle

Bandfoto: Pieter van Hattem

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