Genial und bescheiden

Der schwedisch-amerikanische Dirigent Herbert Blohmstedt wird als 18.Gewandhauskapellmeister verabschiedet

Zu Herbert Blomstedts bescheidenem Wesen gehört, dass große Gesten nicht sein ureigenstes Metier sind. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte es vielleicht keine große Festversammlung gegeben, die an diesem Freitagvormittag den wohlgesetzten Reden lauschte. Unter den Gästen war auch Nachfolger Riccardo Chailly, der eigens von Proben nach Leipzig gekommen war. „Knappe Zeit, aber ich bin froh hier zu sein“, sagte er zu seinem ersten Besuch im Festsaal des Alten Rathauses. Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee stimmte die Lobeshymnen an. „Blomstedt war für Leipzig und das Gewandhausorchester ein Glücksfall“, sagte das Stadtoberhaupt.

Wer Zweifel hatte, den hat Herbert Blomstedt seit 1998 mit ehrlicher Arbeit gründlich eines Besseren belehrt. Auf den 71-jährigen Kurt Masur folgte damals der eine Woche ältere Amerikaner schwedischer Herkunft. Ein Neuanfang sieht anders aus. Aber schon der große Yehudi Menuhin befand bei Blomstedts Inauguration, das Amt des Gewandhauskapellmeisters sei förmlich für den Amerikaner geschaffen. Und so dirigierte er in den folgenden sieben Jahren 486 Konzerte, mit 243 Werken von 69 Komponisten. Die Nachricht des Tages war aber, dass der Dirigent eine Stiftung gründet, in die seine Sammlung wertvoller Instrumente übergehen soll und dem Gewandhausorchester, der Hochschule für Musik und der Musikschule „Johann Sebastian Bach“ zur Verfügung stehen wird.

Der ehemalige Intendant des San Francisco Symphony Orchestra, Peter Pastreich, hielt eine gewitzte Laudatio. Er stellte den geladenen Gästen Herbert Blomstedt als einen warmherzigen, bescheidenen, gelösten und humorvollen Menschen vor, für den Annehmlichkeiten unserer Wohlstandgesellschaft unwichtig seien, solange er sich seiner Musik widmen könne. Pastreich erzählte von einer Woche in Blomstedts Ferienhaus in den schwedischen Wäldern, mit täglicher Hafergrütze, kaltem Wasser aus dem Brunnen und zweisitzigem Plumpsklo. Von großen Abschiedsgesten war bei Herbert Blomstedt an diesem Vormittag nicht viel zu spüren. Blomstedt wollte lieber „auf Wiedersehen“ sagen, als das Wort vom Abschied in den Mund nehmen. Für den 77-Jährigen dürfte die Befreiung von den täglichen Bürden der Leitung des Gewandhauses neue Energien freisetzen. In der kommenden Saison wird er bei allen großen Orchestern gastieren und Leipzig nicht vergessen. Schon im September dirigiert er in der Oper wieder den „Fidelio“.

Schließlich trat der so Gerühmte und Beschriebene an das Mikrofon. „Was soll ich sagen? Das meiste stimmt“, sagte Herbert Blomstedt über die Laudatio und hatte die Lacher auf seiner Seite. Diese sieben Jahre seien aber auch für ihn ein Glücksfall gewesen, für die er sehr dankbar sei. Musik sei für Leipzig etwas ganz besonderes und daher auch eine Verpflichtung für die Stadt. Herbert Blomstedt würdigte deshalb ausdrücklich, dass die Stadt auch in schwierigen Zeiten immer zum Gewandhaus gestanden hat. Von OB Tiefensee gab es zum Schluss noch ein Porträt des Maestros von Bernhard Heisig. Das Bild wird seinen Platz im Museum der Bildenden Künste finden. Wahrscheinlich war Blomstedt der Gedanke an diesen privaten Heiligenschrein in seinem Haus in der Schweiz zu suspekt.

Der Unterschied zwischen der Musik von Mahler und Bruckner beschrieb Blomstedt einmal so: „Bei Mahler hört man einen Komponisten auf der Suche nach Gott, bei Bruckner, dass dieser Gott schon gefunden hat.“ Insofern überraschte es nicht, dass Bruckners 8. Sinfonie bei den beiden Festkonzerten auf den Pulten lag. Beim Luzern Musikfestival vor wenigen Wochen hatte das Gewandhausorchester die Sinfonie bereits gespielt und trotzdem danach noch zwei Proben angesetzt. „Sie haben gespielt wie die Götter“, lobte Blomstedt sein Orchester. Beim Konzert am 1. Juli machten sich die Musiker wie bei einer mathematischen Beweisführung daran, genau dieses Schritt für Schritt zu demonstrieren. Da reckte Riccardo Chailly, selber kein unbedeutender Bruckner-Interpret, ein paar Mal erstaunt den Kopf, um nach der Quelle dieses eindrucksvollen Musizierens zu suchen. Aber die atemberaubende Ausgeglichenheit des Orchesters machte sein Unterfangen schier aussichtslos. Man spürte in diesen 75 Minuten, dass Herbert Blomstedt ganz bei sich war und seinen Gott schon gefunden hatte. Da stand ein Mann am Pult, der locker und beschwingt das Orchester spielen ließ und dem Publikum einen magischen Moment bescherte, das Blomstedt damit ehrte, nicht gleich unverhohlen in die Stille zu applaudieren.

Verabschiedung von Herbert Blomstedt als 18. Gewandhauskapellmeister

Johann Sebastian Bach, Präludium und Fuge Es-Dur BWV 552
Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 8 c-Moll

1. Juli 2005, Altes Rathaus und Großer Saal, Gewandhaus



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