Europas größtes Tanz- und Folkfest feiert 15jähriges Jubiläum…und das im Übermaß
Seit 1991 wächst und wächst und wächst … das Tanz- und Folkfest Rudolstadt (TFF). Im 15. Jahr angekommen sind dessen Dimensionen kaum noch zu überschauen. Das Festival schliddert mittlerweile entlang der Kapazitätsgrenze und droht aus allen Nähten zu platzen. Scheinbar gilt nun auch in der ansonsten eher beschaulichen Folkszene die Devise: Schneller, Höher, Weiter!
Diesen Eindruck jedenfalls konnte man beim diesjährigen Festivaljubiläum bekommen. Das kleine thüringische Rudolstadt empfing am ersten Juliwochenende sage und schreibe 66 000 Besucher, das waren 10% mehr als im Vorjahr. Denen standen auf mehr als 20 über die ganze Stadt verteilten Bühnen ca. 100 größere und kleinere Formationen bzw. Solokünstler von allen Kontinenten dieser Erde spielend und tanzend gegenüber. Mehrere öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten übertrugen das Spektakel entweder live oder schnitten einzelne Veranstaltungen mit.
Da konnte es den armen Festivalbesuchern schon schwindlig werden. Sie hatten von vornherein nicht den Hauch einer Chance die im 176 Seiten (!) starken Programmheft angekündigten Musiker und Tänzer zu begutachten, auch dann nicht, wenn sie sich auf einige Favoriten beschränkten, denn diese spielten meistens gleichzeitig auf verschiedenen Bühnen. Natürlich ist es das Los jedes größeren Festivals ein Angebot zu liefern, das die Besucher nicht voll in Anspruch nehmen können, aber beim diesjährigen TFF war das Überangebot geradezu erschlagend.
Einen Vorteil hatte das überbordende Folktreffen natürlich: man konnte sich einen sehr breiten Überblick über das verschaffen, was aktuell unter dem Namen Folkmusik firmiert. „The Chieftains“, die Klassiker des Irish Folk, waren ebenso zu bestaunen wie bspw. die jungen belgischen Nachwuchs-Folkrocker „Aedo“, das sächsisch-brachialromantische „Duo Sonnenschirm“, die englische Sixties-Rockikone Marianne Faithfull, die finnische Blödel-Humppa-Combo „Eläkeläiset“, der spanische Flamenco-Rocksänger und Gitarrist Miquel Gil mit Band, das türkische Neo-Folk-Orchester „Kardes Türküler“, der namibische Liedermacher Jackson Kaujeua, das französisch-spanische Drehleierduo „Pascal Lefeuvre & Germán Díaz“, die österreichische Krainer-Coverband „Global.Kryner“, das tschechische Duo „Plocek & Suranská“ mit mährischer Dorfmusik, die argentinische Folkjazz-Sängerin Mariana Baraj mit Band usw. usf.
Länderschwerpunkt beim diesjährigen Festival war „Brasilien“ und so gab es selbstredend eine Menge brasilianische Musik zu hören. Dass sich diese nicht auf Samba beschränken lässt, zeigten neben anderen der vielseitige Knopfakkordeonist Renato Borghetti sowie die Sängerin Marlui Miranda, die die traditionellen Lieder der Indios mitbrachte. Gleichwohl war die Samba allgegenwärtig.
Der Instrumentenschwerpunkt des 15. TFF Rudolstadt war definitiv nichts für eingefleischte Folkpuristen. Als im Vorfeld bekannt wurde, dass diesmal die „E-Gitarre“ im Mittelpunkt stehen sollte, rümpften nicht wenige die Nase. Die Skepsis erwies sich jedoch als unbegründet, zumal bspw. der E-Gitarren-lastige Blues in gewisser Hinsicht als amerikanische Folkloremusik gelten kann. Dass sich mit diesem Instrumentenschwerpunkt neben Blues- auch Rock- und Popklänge in den Festivalgeräuschpegel mischten, dürfte niemanden verwundert haben; eine Bereicherung war es allemal. Insbesondere das „Magie-Konzert“, bei dem mehrere E-Gitarristen, ein E-Oud- und ein Sanshin-Spieler gemeinsam jammten, machte beim Publikum großen Eindruck (und wird hoffentlich auf CD veröffentlicht).
Es ist seit einigen Jahren TFF-Tradition den deutschen Weltmusikpreis „Ruth“ im Rahmen des Festivals zu vergeben. In der Kategorie „deutsche Ruth“ wurde diesmal die Gruppe „Biermösel Blosn“ für ihre unkonventionelle Mischung aus traditionell-bajuwarischer Musik und anarchistischem Kabarett ausgezeichnet. Der ebenfalls in Bayern ansässige Oud-Spieler Rabih Abou-Khalil erhielt den Preis in der Kategorie „globale Ruth“ für die Verdienste um sein Instrument. Die „Ehren-Ruth“ ging an den WDR-Redakteur Dr. Jan Reichow für dessen Engagement im Bereich Weltmusik. Die „Newcomer-Ruth“ wurde ungewöhnlicherweise gleich dreimal vergeben: an die Band „Malbrook“, die sich erfolgreich um die nordeuropäische Musiktradition kümmert; an das Berliner „Nomad Soundsystem“, das schwungvolle elektronische Clubkultur mit orientalischer Folklore geschmackvoll zu koppeln weiß; und an die argentinische Formation „Tango Crash“ für ihre zeitgeistige, elektroide Ausdeutung des argentinischen Tango.
Neben den vorgenannten Veranstaltungen und Konzerten bot das TFF auch 2005 wieder eine Menge Drumherum: bspw. ein wissenschaftliches Symposium zum 100. Geburtstag des Linguisten und Volkskundlers Wolfgang Steinitz, ein großes Kinderfest, Verkaufsstände von Handwerkern, Händlern und Instrumentenbauern, kulinarische Spezialitäten aus der ganzen Welt sowie Sing- und Tanzworkshops. Überhaupt kamen alle Freunde des gepflegten Tanzes erneut zu ihrem Recht. Im Zentrum stand in diesem Jahr die „Polka“. Aber auch spirituell-meditative und mittelalterliche Tänze wurden in Rudolstadt zelebriert.
Das Fazit zum TFF Rudolstadt 2005 fällt – bei aller Freude an der dargebotenen Vielfalt – kritisch aus. Es muss ganz klar gesagt werden: es war von allem ein Müh zu viel. Weniger ist oft mehr. Diese alte Weisheit sollten die Veranstalter bei der Planung für das nächste Jahr im Hinterkopf behalten.
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