Hochmotiviertes Orchester trifft virtuosen Superstar

Das Hallé Orchestra Manchester brilliert in der Kölner Philharmonie unter Mark Elder

„Haben Sie vielleicht noch zwei Minuten…..?“ mitten im Schlussapplaus versucht Mark Elder, die schon zu ihrer Garderobe eilenden, ernstlich verblüfften Besucher noch mal auf die Sitze zurückzuholen. Mit diesem sympathischen Zeigefinger, den letzten Takt doch nicht immer gleich mit der Aufforderung zu verwechseln, seine Jacke zu holen, hat sich Elder noch mal die Herzen des Saales erobert. Nach einem leidenschaftlichem Plädoyer für den Komponisten und den Menschen Edward Elgar spielt das Orchester als Zugabe dessen Stück für Streichorchester und Harfe. Wie ein phantasievolles Dessert rundet und glättet die zarte Komposition die Ereignisse des Abends.

Ralph Vaughan Williams komponierte 1909 eine Schauspielmusik zu Aristophanes´ Komödie „Die Wespen“, der Wespenschwarm dort Metapher für die unbarmherzigen athenischen Richter. Zu Beginn schwirren die Streicher, Elder zwingt seinem Orchester ein hohes Tempo auf, subtil moduliert er die einzelnen Farben bis die Luft im Saal aggressiv flimmert. Weitere thematische Bezüge finden sich in der Partitur nicht. Dem eher nüchternen Hauptthema der Ouvertüre folgen volksliedhafte Stimmungen, sehr breit und farbig erinnern die dominierenden Bläser an Filmmusiken der frühen 1920ziger Jahre.
Viele Geister haben sich seit der Uraufführung am 1. Januar 1897 in Leipzig an Brahms‘ Konzert für Violine und Orchester geschieden. Von „Konzert gegen die Violine“ /1/ über „eine Zumutung für den zum Zuhören verdammten Solisten“ /2/ reichten die Äußerungen in der Uraufführungszeit. Erst langsam war man bereit, die Intention Brahms anzuerkennen, ein Konzert für Violine und Orchester und eben kein Violinenkonzert zu komponieren. Der 30 Jahre junge Nikolaj Znaider hat mit dem für das 19. Jahrhundert innovativen Ansatz der Partitur kein Problem, im Gegenteil, wie losgelassen stürzt er sich in die Fülle der musikalischen Assoziationen. Im Dialog mit dem Orchester tritt er den Stimmen physisch entgegen, treibt sie an und unterstützt dadurch Mark Elgar, der diese Bereicherung freudig annimmt. Nun ist über die technischen Schwierigkeiten des Soloparts bereits viel geschrieben worden, der heutige Vortrag Znaiders versetzt viele Zuhörer in entzücktes Staunen. Die Töne scheinen seinem Handgelenk einfach so herauszuströmen, angesichts der Leichtigkeit kommen Zweifel auf, ob der Bogen überhaupt die Saiten der 300 Jahre alten Stradivari „ex Liebig“ berührt. Anfangs noch im ebenbürtigen Miteinander stürmt Nikolaj Znaider dem Orchester bald in virtuoser Individualität davon. Mit improvisatorischem Eifer verleiht er den eingängigen sich wiederholenden Themen immer wieder eine spezielle Note.

Die Kölner Philharmonie ist anfangs der 80ziger Jahre noch ganz im Geiste Scharounscher /3/ Expressivität erdacht wurden. Man legte damals viel Wert auf das visuelle Erlebnis des Konzertes, wie in einem griechischem Amphitheater sind die Zuschauer kreisförmig um die Bühne angeordnet, auch das Gewandhaus in Leipzig hatte Scharoun als Vorbild. Die große Besonderheit in Köln: der Saal, integriert in den Komplex des Museums Ludwig, ist im Stadtbild nicht präsent, da er komplett in die Rheinterrassen eingegraben ist, ein Teil der Rheinterrassen muss allerdings während des Konzertes regelmäßig gesperrt werden, Fußgänger und Skater würden sonst das Konzert stören. Nielsens klangmächtiger 4. Sinfonie hätten die Geräusche aus der Stadt aber heute bestimmt nichts anhaben können.
Nach dem virtuosem Superstar Znaider und dem Brahmschen Evergreens hat es der selten gespielte Carl Nielsen natürlich nicht leicht. Wie die gelichteten Reihen vermuten lassen, haben sich viele Besucher diesem Experiment gar nicht erst ausgesetzt. Das Hallé Orchestra, jetzt in großer Besetzung lässt sich davon nicht beeindrucken. Gleich zu Beginn versetzt das Blech den Saal in drückende Unruhe, nach einem volkstümlichen Seitenthema bäumt sich der gesamte Klangapparat. Mark Elder schafft es auch im wildesten Feuerwerk, ein transparentes Klangbild zu wahren. Der zwischen „bösen“ und lebensbejahenden Elementen alternierende Verlauf des Stückes verlangt von den Interpreten höchste Sensibilität gerade in den Übergängen. Besonders illustrativ gestaltete Nielsen die Auseinandersetzung der Pauken, die sich heute von ihren gegenliegenden Positionen aus mächtige Gesten hin und her werfen. Großer Applaus für die hochmotivierten Musiker des ältetsten englischen Berufsorchester /4/.

/1/ Ausspruch wird Joseph Hellmesberger, Dirigent der Wiener Uraufführung zugeschrieben
/2/ Ausspruch wird Pablo de Sarasate zugeschrieben
/3/ Berliner Philharmonie von Hans Scharoun 1963
/4/ 1858 vom Pianisten und Dirigenten Charles Hallé gegründet

Meisterkonzerte Köln, Zyklus A

Hallé Orchestra Manchester

Ralph Vaughan Williams (1872-1958)
Ouvertüre zu „Die Wespen“
Allegro vivace

Johannes Brahms (1833-1897)
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77
Allegro non troppo
Adagio
Allegro giocoso, ma non troppo vivace

Carl Nielsen (1865-1931)
Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche“
Allegro
Poco allegretto
Poco adagio quasi andante
Allegro

Dirigent Mark Elder
Violine Nikolaj Znaider

Mittwoch, 28. 9. 05, 20.00 Uhr, Kölner Philharmonie

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