„Me and your granny on bongos”

Das neue Album von „The Fall” ist endlich heraus

Wo Köpfe rollen, sind The Fall nicht weit – und das seit Jahrzehnten

Wenn tatsächlich nur in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohnt, hat man es bei der Platte Fall Heads Roll mit dem Werk eines völlig geistesgestörten, wahnsinnigen, unzurechnungsfähigen Verrückten zu tun. Mark E. Smith, Mastermind und einziges Dauermitglied der seit 29 Jahren bestehenden Band The Fall aus Manchester, befindet sich schon seit Jahren in einer körperlichen Verfassung, die man der Ehrlichkeit halber nicht mehr „Gesundheits“zustand nennen kann. Dessen kann man sich am besten bei einem der Live-Auftritte der Band versichern, bei denen der 48-Jährige, breiteste Augenringe und immer neue Falten zur Schau tragend, scheinbar unkontrolliert mit abgewendetem Blick aufs Keyboard einhämmert, auf dem Boden desorientiert nach Textzettel oder Setlist sucht und das Mikrofon solange dem Publikum überlässt. Smith, neben dem Babyshambles-Wrack Pete Doherty wie ein kerngesunder Chorknabe wirkt, hat allerdings außer vier exzellenten Bandkollegen – darunter seine dritte Ehefrau Eleni Poulou – auch etwas zu bieten, das über derlei schließlich doch nebensächliche Beeinträchtigungen hinweghilft: unerschöpfliche Kreativität.The Fall, das ist die Band, die in der Schublade „giants“ landen würde, wenn das Fach der Britpop-Helden der letzten fünfzehn Jahre beschriftet würde mit „standing on the shoulders of giants“. Zuletzt bekannten Franz Ferdinand sich bei einem TV-Auftritt zu ihrer Fall-Verehrung, und auch die Presse ist begeistert – die Sunday Times schrieb kürzlich anlässlich von Fall Heads Roll: „The best band in Britain, again.“ Unzählige Mythen ranken sich um Smith und seine austauschbare Crew (1998 prägte der von seinen Fans liebevoll „Hip Priest“ genannte Sänger in einem NME-Interview den zum Klassiker gewordenen Satz „If it’s me and your granny on bongos, then it’s a Fall gig.“), und mit ungeschlagenen 24 Peel-Sessions war die Band der erklärte Liebling des 2004 verstorbenen BBC-DJs John Peel. Zuweilen ungerechter Weise als „musicians‘ musicians“ abgetan, also als Band, die in erster Linie von anderen Bands geschätzt und rezipiert wird, hatte The Fall doch auch schon immer dem Laien etwas zu sagen. Vorausgesetzt, der scheute nicht die Auseinandersetzung mit einem Werk, das so umfangreich, vielfältig und komplex ist wie kaum ein anderes in der Geschichte der Popmusik. Mit Fall Heads Roll nun macht die Band ihren Fans ein Geschenk, das diese zwar nörgelnd – wie es sich sich für einen Anhänger Smith‘ gehört, denn dieser schimpft schließlich auch immer – aber heimlich doch hochzufrieden entgegennehmen. Die beste Platte seit Country On The Click, sagen manche – seit dem letzten Fall-Studio-Album also.

Das einzige, was Traditionalisten Smith vorwerfen könnten, ist seine beständige Weiterentwicklung, die jedes Album zu einem neuen Experiment macht, wobei allerdings zwei Konstanten (die Stimme sowie die überbordende Energie der Musik) bleiben; „The Fall – always different, always the same“, konstatierte Peel. So manchem, dem die Fall-Songs aus den späten 1970ern gefielen, sind die neuen – allen voran die Single „Clasp Hands“ – zu eingängig. Und tatsächlich weist Fall Heads Roll einen für die Verhältnisse der Band überraschend entspannten, rhythmisch klaren Opener auf: „Ride away“. Die typischen Synkopen, Brüche, Pausen, Tempowechsel und Zwischenrufe findet man allerdings noch reichlich in den folgenden dreizehn Stücken, ebenso wie die unverwechselbaren Zisch-, Schnalz-, Kreisch-, Brumm- und Nuschellaute, die Smith mit seinen Texten (wie immer finden sich Perlen wie „99 percent of non-smokers die!“ in „Blindness“) vermischt und seiner Stimme somit die Wirkung eines seltsamen, bis an die Grenzen des Erträglichen eindringlichen Instrumentes verleiht. Die mit den Begriffen Post-Punk oder Industrial nur unzureichend beschriebene Musik, von der Band mit extrem präziser, vorantreibender Kraft erdacht und gespielt, tut das Übrige dazu. Kleine Meisterwerke wie „Pacifying Joint“, „What About Us?“ oder das sehr gelungene Moves-Cover „I Can Hear The Grass Grow“ beweisen, dass Mark E. Smith vermutlich selbst auf dem Totenbett noch mehr Energie und Einfallsreichtum freisetzen dürfte als die meisten Menschen zu ihrer besten Zeit und sein durch Alkohol, Drogen und Schlägereien herbeigeführter Zustand kaum einen – wenn, dann positiven – Einfluss auf seine Musik hat. Ein nahezu fröhlicher Popsong mit jubilierendem Keyboard und beschwingtem Smith, „Breaking The Rules“, findet sich ebenso auf Fall Head Rolls wie die Ballade „Early Days Of Channel Führer“ und die bereits erwähnte Vielzahl Fall-typisch beschwörender, explosiver Songs. Und schließlich gibt es mit „Trust In Me“ einen insofern erstaunlichen Abschluss des Albums, als dass zwei Gastsänger ans Mikrofon gelassen werden.

Fall Heads Roll ist das ideale Einstiegsalbum für alle, an denen The Fall in den letzten Jahrzehnten vorbeigegangen ist oder die vor der Menge der zur Auswahl stehenden Alben kapitulierten, aber auch eine Bereicherung für jeden, der seit dem Übergangsalbum „Interim“ sehnlichst auf neues Material wartete. Und auch wenn man es Mark E. Smith nicht immer ganz leicht hat („Good evening, we are The Fall. The difference between you and us is that we have brains“, lautete zum Beispiel einmal seine gleichermaßen versnobte wie hinreißende Begrüßung des Konzertpublikums): Eine faszinierende Band als The Fall wird man kaum finden.

Mehr über The Fall unter:
http://www.visi.com/thefall/

Tracklist:
01. Ride Away
02. Pacifying Joint
03. What About Us?
04. Midnight In Aspen
05. Assume
06. Aspen Reprise
07. Blindness
08. I Can Hear The Grass Grow
09. Bo Demmick
10. Youwanner
11. Clasp Hands
12. Early Days Of Channel Führer
13. Breaking The Rules
14. Trust In Me

The Fall
Fall Heads Roll

VÖ: 7. Oktober 2005, Sanctuary


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